Mit der fortlaufend steigenden Anzahl von Ehen und Lebensgemeinschaften zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität nehmen auch Streitigkeiten um die elterliche Sorge für Kinder aus solchen Beziehungen zu. Dabei kann es vorkommen, dass ein Elternteil nach der Trennung beschließt, den Staat des bisherigen Aufenthalts mit den gemeinsamen Kindern ohne entsprechende Sorgerechtsregelung eigenmächtig zu verlassen. Sowohl ein solches Verbringen der gemeinsamen Kinder in einen anderen Staat, oft den Heimatstaat des "verbringenden Elternteils", als auch ein widerrechtliches Zurückhalten der Kinder dort, beispielsweise nach einem Ferienaufenthalt, stellt den anderen Elternteil vor vollendete Tatsachen. Für ihn stellt sich dann die Frage, wie der frühere Zustand durch Rückführung des Kindes schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann.
Eine vergleichbare Konfliktlage kann in den Fällen entstehen, in denen einem Elternteil die Ausübung seines Rechts auf Umgang mit dem im Ausland lebenden Kind durch den anderen Elternteil verweigert oder erschwert wird.
Die Bundesrepublik Deutschland ist Vertragsstaat mehrerer internationaler Übereinkommen, die für die Lösung solcher internationaler Kindschaftskonflikte Regelungen vorsehen. Außerdem schafft seit dem 1. August 2022 die zwischen den EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) geltende Brüssel II b-Verordnung einen geänderten Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Situationen (Revision der zuvor geltenden Brüssel II a-Verordnung).
Nachfolgend finden Sie Informationen zur Rückführung entführter Kinder und zu grenzüberschreitenden Umgangs- und Sorgerechtskonflikten
I. Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts
1. Anwendbare Vorschriften
Auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts sind für Deutschland in Kraft:
- Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen – im Folgenden: Brüssel II b-Verordnung
- das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II S. 207) – im Folgenden: Haager Kindesentführungsübereinkommen – HKÜ,
- das Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (BGBl. 2009 II S. 602) – im Folgenden: Haager Kinderschutzübereinkommen – KSÜ, und
- das Luxemburger Europäische Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (BGBl. 1990 II S. 220) – im Folgenden: Europäisches Sorgerechtsübereinkommen – ESÜ.
In Altfällen kann zudem zur Anwendung kommen:
- die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in den Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU Nr. L 338 S. 1) – im Folgenden: Brüssel II a-Verordnung,
Die Brüssel II b-Verordnung gilt als Neufassung der Brüssel II a-Verordnung seit dem 1. August 2022. Sie gilt für seit dem 1. August 2022 eingeleitete gerichtliche Verfahren, förmlich errichtete oder eingetragene Urkunden und eingetragene Vereinbarungen (Art. 100 Abs. 1 Brüssel II b-Verordnung). Auch Ersuchen über die Zentralen Behörden (z. B. Informationsaustausch, Unterbringungsersuchen) richten sich ab diesem Stichtag nach dem neuen Recht. Die Brüssel II a-Verordnung findet weiter Anwendung für Entscheidungen in vor dem 1. August 2022 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren, für vor dem 1. August 2022 förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden und für Vereinbarungen, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie geschlossen wurden, vor dem 1. August 2022 vollstreckbar geworden sind und in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fallen (Art. 100 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung).
2. Verhältnis der Vorschriften zueinander
Die Brüssel II b-Verordnung hat im Verhältnis der EU-Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) Vorrang vor den Regelungen des Haager Kinderschutzübereinkommens soweit in dieser Verordnung geregelte Bereiche betroffen sind (Artikel 97). Das Übereinkommen gilt entsprechend insbesondere für Fragen des anwendbaren Rechts (dort Artikel 15 f.), da die Verordnung hierzu keine Regelungen enthält. Im Verhältnis zum Haager Kindesentführungsübereinkommen ergänzen Kapitel 3 und 6 (sowie teilweise Kapitel 4) der Verordnung die Regelungen des Übereinkommens.
II. Bundesamt für Justiz als Zentrale Behörde
Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG –) nimmt das Bundesamt für Justiz in Bonn für Deutschland die Aufgaben der Zentralen Behörde nach den oben genannten internationalen Rechtsvorschriften wahr.
In Fällen, die unter das Haager Kindesentführungsübereinkommen oder das Europäische Sorgerechtsübereinkommen fallen, kann das Bundesamt für Justiz, soweit erforderlich, Verfahren vor den zuständigen deutschen Gerichten einleiten. Dies betrifft Verfahren mit dem Ziel, ein nach Deutschland entführtes Kind ins Ausland zurückzuführen, Verfahren zur Anerkennung und ggf. Vollstreckung einer ausländischen Sorgerechts- oder Umgangsentscheidung oder sonstigen Schutzmaßnahme für das Kind, und Verfahren mit dem Ziel, eine erstmalige oder neue Umgangsregelung für ein in Deutschland lebendes Kind mit seinem im Ausland lebenden Elternteil oder einer anderen Person zu erreichen. Dabei gilt das Bundesamt für Justiz im Rahmen dieser Übereinkommen zum Zweck der Rückgabe des Kindes kraft Gesetzes als bevollmächtigt, im Namen der antragstellenden Person selbst oder im Weg der Untervollmacht durch Vertreter gerichtlich oder außergerichtlich tätig zu werden. Umgangsverfahren nach HKÜ oder ESÜ kann sie für eine Person einleiten, wenn ihr diese hierzu eine Vollmacht erteilt. Zur Sicherung der Einhaltung der Übereinkommen kann das Bundesamt für Justiz auch im eigenen Namen entsprechend handeln, § 6 Abs. 2 IntFamRVG.
Zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben veranlasst das Bundesamt für Justiz mit Hilfe der zuständigen Stellen alle erforderlichen Maßnahmen. Es verkehrt unmittelbar mit allen zuständigen Stellen im In- und Ausland, § 6 Abs. 1 IntFamRVG.
III. Kindesentführung von Deutschland ins Ausland
Wenn ein Elternteil oder eine andere Person Deutschland mit einem bisher hier lebenden Kind unter Verletzung eines hier geltenden Sorgerechts verlässt, kann der zurückgelassene Elternteil bzw. sonst Sorgeberechtigte seine Rechte auf verschiedene Weise geltend machen. Die Staatsangehörigkeit des Kindes, der Eltern oder der übrigen Familienmitglieder spielt dabei in der Regel keine entscheidende Rolle.
1. Haager Kindesentführungsübereinkommen
a) Unterstützungsmöglichkeiten
Das Haager Kindesentführungsübereinkommen hat zum Ziel, Kinder vor den nachteiligen Folgen eines widerrechtlichen Verbringens in einen anderen Vertragsstaat oder eines Zurückhaltens dort zu schützen. Das Übereinkommen hat über 100 Vertragsstaaten. Der jeweils aktuelle Stand findet sich – speziell auf Deutschland bezogen – in der Staatenliste sowie allgemein auf der Internetseite der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht.
Wird ein Kind aus Deutschland in einen anderen Vertragsstaat entführt, so kann der hier zurückgebliebene Elternteil bzw. sonst Sorgeberechtigte sich mit der Bitte an das Bundesamt für Justiz wenden, ihn bei der Rückführung des Kindes zu unterstützen. Die in mehreren Sprachen vorhandenen Antragsformulare können von der Internetseite heruntergeladen oder telefonisch, per E-Mail oder schriftlich angefordert werden.
Der zurückgelassene Elternteil ist nicht verpflichtet, die Hilfe des Bundesamts für Justiz in Anspruch zu nehmen. Es steht ihm frei, sich unmittelbar an die ausländische Zentrale Behörde oder, ggf. unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin, an die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des anderen Staates zu wenden. Zu beachten ist dabei jedoch, dass es von dem betreffenden ausländischen Recht abhängt, ob eine Privatperson dort auch im gerichtlichen Verfahren tätig werden kann oder ob die Vertretung durch einen dort ansässigen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin vorgeschrieben ist.
b) Zielsetzung
Dem entführenden Elternteil soll die Möglichkeit genommen werden, das Kind eigenmächtig unter Verletzung des Sorgerechts einer anderen Person oder Stelle ins Ausland zu verbringen und dort ggf. eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung über das Sorgerecht herbeizuführen. Mit Hilfe des Übereinkommens soll einerseits ein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten des Kindes unter Verletzung des Sorgerechts eines anderen rückgängig gemacht werden können; andererseits soll es aber auch vorbeugend den Anreiz für solche Entführungen nehmen. Dementsprechend sieht das Übereinkommen als Voraussetzung für die Rückführung keine Sorgerechtsentscheidung vor. Das Übereinkommen stellt ausdrücklich klar, dass eine auf seiner Grundlage getroffene Entscheidung über die Rückführung des Kindes in den anderen Staat nicht als Sorgerechtsentscheidung anzusehen ist (Art. 19 HKÜ). Ziel ist lediglich, das Kind so schnell wie möglich in den Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts zurückzubringen. Dort können die international zuständigen Gerichte evtl. weitergehende Entscheidungen treffen. Dies bedeutet nicht zwangsläufig die Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil. Auch wenn der entführende Elternteil mit dem Kind gemeinsam nach Deutschland zurückkehrt, ist das Ziel des HKÜ erreicht. Bei wem das Kind auf Dauer lebt, müssen dann die deutschen Gerichte entscheiden.
c) Voraussetzungen
Das Haager Kindesentführungsübereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, im Regelfall und schnellstmöglich die Rückführung des Kindes herbeizuführen. Ein Antrag auf Rückführung eines in einen anderen Vertragsstaat entführten Kindes nach Deutschland hat in der Regel bei Vorliegen folgender Voraussetzungen hinreichende Aussicht auf Erfolg:
- Das Kind hat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet (Art. 4 S. 2 HKÜ).
- Das Kind hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt unmittelbar vor der Entführung in Deutschland (Art. 3 Abs. 1 a) HKÜ).
- Der antragstellende Elternteil hatte im Zeitpunkt der Entführung oder des Zurückhaltens zumindest ein Mitsorgerecht und hat es bis zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich ausgeübt (Art. 3 Abs. 1 b) HKÜ), beispielsweise durch regelmäßige, aber nicht notwendigerweise persönliche Kontakte.
- Das Übereinkommen war zur Zeit der Entführung zwischen Deutschland und dem jeweiligen Zufluchtsstaat in Kraft (Art. 35 Abs. 1 HKÜ).
Der Antrag sollte so schnell wie möglich gestellt werden, spätestens jedoch so rechtzeitig, dass er noch vor Ablauf eines Jahres nach der Entführung oder dem Zurückhalten bei dem zuständigen Gericht im Zufluchtsstaat eingereicht werden kann, Art. 12 Abs. 1 HKÜ. Geht der Antrag später beim zuständigen Gericht des Zufluchtsstaats ein, genügt der Nachweis der Eingewöhnung des Kindes in seinem neuen Lebensumfeld durch die Person, die das Kind bei sich hat, um eine Rückführung zu vereiteln, Art. 12 Abs. 2 HKÜ.
d) Verfahren
Entspricht der Antrag den oben genannten Mindestvoraussetzungen, so wird er vom Bundesamt für Justiz, ggf. nach Anforderung noch fehlender Dokumente und Übersetzungen, an die Zentrale Behörde desjenigen Vertragsstaats weitergeleitet, in den das Kind entführt worden ist. Zu den Übersetzungskosten siehe unter VIII. 1.
Die Zentrale Behörde in dem betreffenden anderen Vertragsstaat hat unter anderem
- unverzüglich den Aufenthalt des Kindes ausfindig zu machen, Art. 7 Abs. 2 a) HKÜ,
- auf die freiwillige Rückgabe des Kindes oder eine gütliche Regelung der Angelegenheit hinzuwirken, Art. 7 Abs. 2 c) HKÜ,
- ein gerichtliches oder behördliches Verfahren zur Rückführung des Kindes einzuleiten oder die Einleitung eines solchen Verfahrens zu erleichtern, Art. 7 Abs. 2 f) HKÜ.
Der Ablauf des Rückführungsverfahrens richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates. Dieses Recht regelt auch, ob die jeweilige Zentrale Behörde die antragstellende Person im Gerichtsverfahren vertritt, ob dies eine andere Stelle tut und ob ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin einzuschalten ist. Ziel ist die möglichst zügige Erledigung des Falles, Art. 11 Abs. 1 HKÜ.
Nach den Artikeln 2 und 11 HKÜ sind die mit den Rückführungsverfahren befassten Gerichte der Vertragsstaaten gehalten, das Verfahren beschleunigt durchzuführen. Das Übereinkommen geht von einer Dauer des Gerichtsverfahrens von nicht mehr als sechs Wochen pro Instanz aus, Art. 11 Abs. 2 HKÜ (so auch Artikel 24 Brüssel II b-Verordnung für Fälle innerhalb der EU).
e) Ablehnungsgründe
Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des ersuchten Staates können die Kindesrückführung ausnahmsweise ablehnen, wenn beispielsweise
- der zurückgelassene Elternteil zum Zeitpunkt des widerrechtlichen Verbringens bzw. Zurückhaltens kein Sorgerecht oder Mitsorgerecht, Art. 3 Abs. 1 a) HKÜ, hatte,
- der zurückgelassene Elternteil sein Sorgerecht zum Zeitpunkt des widerrechtlichen Verbringens bzw. Zurückhaltens nicht tatsächlich ausgeübt hat, Art. 3 Abs. 1 b) HKÜ,
- bis zum Eingang des Antrags bei Gericht mehr als ein Jahr verstrichen ist und das Kind sich in die neue Umgebung eingelebt hat, Art. 12 Abs. 2 HKÜ,
- der zurückgelassene Elternteil dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat, Art. 13 Abs. 1 a) HKÜ,
- das einsichtsfähige Kind sich der Rückkehr ernsthaft widersetzt, Art. 13 Abs. 2 HKÜ,
- die Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte, Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ. Zwischen EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) darf die Rückführung jedoch nicht verweigert werden, wenn nachgewiesen wird, dass angemessene Vorkehrungen getroffen sind, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten, Art. 27 Abs. 3 der Brüssel II b-Verordnung.
2. Brüssel II b-Verordnung
a. Anwendungsbereich
Seit dem 1. August 2022 gilt zwischen den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Dänemarks) die Brüssel II b-Verordnung, die Neufassung der Brüssel II a-Verordnung, die bereits seit dem 1. März 2005 galt. Durch die Verordnung werden für grenzüberschreitende Ehe- und Sorgerechtsangelegenheiten einheitliche Regelungen innerhalb der Europäischen Union darüber getroffen, in welchem Staat das Gerichtsverfahren zu führen ist (internationale Zuständigkeit). Entsprechende Entscheidungen sollen ferner möglichst reibungslos auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannt und – wenn nötig – durchgesetzt werden können. Soweit es um Sorgerechts- und Umgangsentscheidungen oder sonstige Schutzmaßnahmen bezüglich eines Kindes in grenzüberschreitenden Fällen geht, werden die Zentralen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten dabei beratend und unterstützend tätig. In solchen Fällen holen die Zentralen Behörden, wenn nötig, Informationen über die Situation des Kindes und seines Umfeldes sowie über etwa laufende Verfahren ein und tauschen sie untereinander aus.
b. Verhältnis zum Haager Kindesentführungsübereinkommen
Bei Kindesentführungen gilt im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für die Rückführung eines Kindes weiterhin das Haager Kindesentführungsübereinkommen; dieses wird jedoch durch die Kapitel III und VI der Brüssel II b-Verordnung ergänzt (Art. 1 Abs. 3, 22 und 96 Brüssel II b-Verordnung).
c. Vorkehrungen zum Schutz des Kindes
Die Verordnung verstärkt den im Haager Kindesentführungsübereinkommen enthaltenen Grundsatz, dass das Gericht die sofortige Rückführung des Kindes anordnen soll. Nach dem HKÜ kann eine Rückführung des Kindes abgelehnt werden, wenn mit ihr die Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht würde. Nach der Brüssel II b-Verordnung darf ein Gericht die Rückführung eines Kindes dann nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Maßnahmen getroffen wurden, um das Kind nach seiner Rückkehr in den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zu schützen (Art. 27 Abs. 3 Brüssel II b-Verordnung). Diese Vorschrift soll die Gerichte, bei denen ein Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen anhängig ist, auch dazu ermutigen, ggf. unmittelbar oder mithilfe der Zentralen Behörden, der Verfahrensbeteiligten (in der Regel also der Eltern) oder internationaler Richternetzwerke mit den Gerichten in dem anderen Staat in Kontakt zu treten, um soweit erforderlich den Schutz des Kindes nach seiner Rückführung dorthin zu sichern.
Neu eingeführt in Verfahren, die seit dem 1. August 2022 eingeleitet wurden, ist die Möglichkeit für das die Rückführung anordnende Gericht, selbst einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen nach Art. 15 der Brüssel II b-Verordnung zu erlassen, um das Kind vor einer schwerwiegenden Gefahr im Sinne von Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ nach Rückkehr zu schützen (Artikel 27 Abs. 5 Brüssel II b- Verordnung). Dies ist allerdings nur möglich, sofern die Prüfung und Anordnung dieser Maßnahmen das Rückgabeverfahren nicht über Gebühr verzögern würde.
Neu ist auch, dass Art. 27 Abs. 6 Brüssel II b-Verordnung europaweit vorsieht, dass eine Rückführungsentscheidung ungeachtet der Einlegung eines Rechtsbehelfs aus Gründen des Kindeswohls für vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann.
d. Umgang während des Rückführungsverfahrens
Art. 27 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung ordnet neu europaweit einheitlich die Berücksichtigung von Umgangskontakten während des Verfahrens an. Danach kann das Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls in jeder Lage des Rückführungsverfahrens prüfen, ob der Kontakt zwischen dem Kind und der Person, die die Rückführung beantragt, zu gewährleisten ist und entsprechende Anordnungen als einstweilige Schutzmaßnahme gem. Art. 15 Brüssel II b-Verordnung erlassen.
e. Anhörung
Darüber hinaus stärkt die Verordnung europaweit vereinheitlichend das Recht des Kindes, während des Verfahrens gehört zu werden. Das Gericht muss dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, eine echte und wirksame Möglichkeit geben, diese Meinung direkt oder durch einen Vertreter oder eine Vertreterin oder eine geeignete Stelle zu äußern; das Gericht misst der Meinung des Kindes dabei entsprechend seinem Alter und seiner Reife gebührendes Gewicht bei, Art. 26 i.V.m. Art. 21 Brüssel II b-Verordnung. Ob diese Anhörung unmittelbar durch das Gericht geschieht oder durch andere Personen, z.B. Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, die anschließend vom Gericht gehört werden, überlässt die Verordnung dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.
Zudem darf das Gericht die Rückführung des Kindes nicht verweigern, wenn der Person, die die Rückführung des Kindes beantragt hat, nicht die Gelegenheit gegeben wurde, gehört zu werden, Art. 27 Abs. 1 Brüssel II b-Verordnung.
f. Grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung
Die Rückkehr eines entführten Kindes kann nicht nur durch ein Rückführungsverfahren nach dem HKÜ erreicht werden. Gibt es bereits eine Sorgerechtsentscheidung aus dem Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, die dem zurückgelassenen Elternteil eine gerichtliche Herausgabeanordnung zuspricht, so kann die Rückkehr des Kindes auch durch die grenzüberschreitende Vollstreckung dieser Entscheidung nach der Brüssel II b-Verordnung erreicht werden.
Die Verordnung regelt allgemein die Pflicht, in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat anzuerkennen und zu vollstrecken (Art. 30, 34). Ablehnungsgründe sind in Artikel 39 geregelt. Gleichwohl muss in der Regel noch ein Gericht des Vollstreckungsstaats eingeschaltet werden, das konkrete Vollstreckungsmaßnahmen anordnet. In den meisten EU-Staaten bedeutet dies in der Praxis, dass die Person, die eine ausländische Entscheidung vollstrecken möchte, sich selbst einen örtlichen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin nehmen muss, die dann im betreffenden Staat das Vollstreckungsverfahren betreiben. Das Erfordernis einer Vollstreckbarkeitserklärung wurde mit Neufassung der Verordnung abgeschafft.
Für Altfälle (Art. 100 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung, s.o. unter Punkt I.1.) gilt fort, dass die in einem EU-Mitgliedstaat ergangenen Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen anzuerkennen und zu vollstrecken (Art. 21 und 28 Brüssel II a-Verordnung) sind, allerdings noch eine Vollstreckbarkeitserklärung notwendig ist. Eine Ausnahme gilt hier für die Vollstreckung einer Herausgabeentscheidung aus dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts, die nach einer ablehnenden, auf Art. 13 HKÜ gestützten Rückführungsentscheidung ergangen ist (Art. 11 Abs. 6-8 Brüssel II a-Verordnung).
Neu geregelt ist durch die Brüssel II b-Verordnung, dass auch die in einem EU-Staat ergangenen Rückführungsentscheidungen nach dem HKÜ in den anderen Mitgliedsstaaten anerkannt und vollstreckt werden können, z.B. in dem Fall, dass das Kind nachdem die Rückführungsentscheidung ergangen ist, weiter in einen anderen Mitgliedsstaat verbracht wird, da der Begriff der Entscheidung nach Kapitel IV der Verordnung Rückführungsentscheidungen umfasst (Art. 2 Abs. 1 S. 2 a) Brüssel II b-Verordnung).
g. Anerkennung und Vollstreckung privilegierter Rückgabeentscheidungen
Zusätzlich sieht die Brüssel II b-Verordnung ein besonders wirksames Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren für bestimmte Fälle vor: Wurde die Rückführung des Kindes nach Deutschland in einem anderen Mitgliedstaat der EU nach Art. 13 Abs.1 b) oder Art. 13 Abs. 2 HKÜ abgelehnt, so eröffnet Art. 29 der Verordnung die Möglichkeit zur zeitnahen Durchführung eines Sorgerechtsverfahrens im Staat des (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes – hier also in Deutschland, so dieses nicht bereits schon läuft. Sofern ein solches neu eingeleitetes oder bereits laufendes Sorgerechtsverfahren zu einer Herausgabeentscheidung zugunsten des in Deutschland zurückgelassenen Elternteils führt, ist diese Entscheidung als sog. privilegierte Entscheidung (Art. 42 Abs. 1 b) Brüssel II b-Verordnung) in anderen EU-Staaten (außer Dänemark) anzuerkennen und unmittelbar zu vollstrecken, wenn sie von einer Bescheinigung nach Art. 47 Abs.1 a) der Verordnung begleitet wird (Art. 45, 46 Brüssel II b-Verordnung). Dabei ist die Möglichkeit, die Anerkennung anzufechten, gegenüber anderen Entscheidungen stark eingeschränkt (Art. 43 Abs.1 i.V.m. Art. 50 Brüssel II b – Verordnung). Zusätzlich muss, anders als unter der bisherigen Brüssel II a-Verordnung (vgl. Artikel 11 i.V.m. 42), die Bescheinigung auch der Person, gegen die vollstreckt werden soll, zugestellt werden, bevor die Vollstreckung beginnen kann (Art. 55 Abs.1 Brüssel II b-Verordnung).
3. Haager Kinderschutzübereinkommen
Am 1. Januar 2011 ist zwischen Deutschland und 25 anderen Staaten das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 (KSÜ) in Kraft getreten. Inzwischen gilt es für über 50 Staaten. Der jeweils aktuelle Stand der Vertragsstaaten findet sich – speziell auf Deutschland bezogen – in der Staatenliste sowie allgemein auf der Internetseite der Internetseite der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht.
Wie die Brüssel II b-Verordnung regelt das KSÜ u. a. die Pflicht, in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen und zu vollstrecken.
Soll eine deutsche Herausgabeentscheidung grenzüberschreitend in einem anderen Vertragsstaat des Haager Kinderschutzübereinkommens durchgesetzt werden, um so die Rückgabe des Kindes nach Deutschland zu erreichen, bedarf die Entscheidung einer Vollstreckbarerklärung in dem Staat, in dem sich das Kind zu diesem Zeitpunkt befindet. Anders als bei der Anerkennung von Entscheidungen aus anderen EU-Staaten nach der Brüssel II b-Verordnung prüft dabei das Gericht in dem Staat, in dem vollstreckt werden soll, auch nach, ob das deutsche Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, nach dem Übereinkommen überhaupt international zuständig war. Dies ist in der Regel der Fall, wenn das Kind in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung erlassen wurde, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat hatte, in dem die Entscheidung erlassen wurde (hier also in Deutschland).
4. Europäisches Sorgerechtsübereinkommen
Das Europäische Sorgerechtsübereinkommen, das den Mitgliedstaaten des Europarats und (auf Einladung) anderen Staaten offensteht, bietet ebenfalls Möglichkeiten zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. Im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (außer Dänemark) ist es heute jedoch weitgehend durch die Brüssel II b-Verordnung (siehe oben unter 2.) ersetzt worden.
Der aktuelle Stand der ESÜ-Vertragsstaaten kann beim Bundesamt für Justiz erfragt oder in der Staatenliste eingesehen werden. Er ist auch auf der Internetseite des Europarats zu finden.
5. Staaten, mit denen keine internationalen Übereinkünfte bestehen
Schwieriger ist die Situation, wenn zwischen Deutschland und dem Staat, in dem sich das Kind aufhält, keine internationale Vereinbarung zur Lösung solcher Fragen besteht. Es bleibt dann regelmäßig nur die Möglichkeit, die Behörden bzw. Gerichte des betreffenden Staates um Hilfe zu ersuchen und hierfür ggf. ortsansässige Rechtsanwälte oder Rechtsanwältinnen zu beauftragen oder dort ansässige Nichtregierungsorganisationen um Unterstützung zu bitten. Um die Situation der Betroffenen zu erleichtern, gibt es Bestrebungen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, dass jeder Staat – also Vertragsstaaten der o. g. Übereinkommen und auch Staaten, die keinem einschlägigen Übereinkommen angehören – eine sogenannte Zentrale Anlaufstelle für internationale Kindschaftskonflikte benennen soll, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten in solchen Fällen weiterhilft. Die Zentralen Anlaufstellen im Ausland können Sie bei der deutschen Zentralen Anlaufstelle für internationale Kindschaftskonflikte und beim Bundesamt für Justiz erfragen.
Weitere Auskünfte und Unterstützung erteilt ggf. auch das Auswärtige Amt in Bezug auf den jeweiligen Staat.
Hierbei ist zu beachten, dass der Inhalt des ausländischen Rechts und die Ausgestaltung des gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens erheblich vom deutschen Verfahren abweichen können.
Auskunft und Beratung erteilt ferner der Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Möglicherweise kann auch eine internationale Familienmediation weiterhelfen. Auskünfte hierzu erteilt der Verein MiKK e.V. – Mediation bei internationalen Kindschaftskonflikten (siehe dazu auch unten IX. 3.).
IV. Kindesentführung vom Ausland nach Deutschland
Wurde ein Kind nach Deutschland entführt, gelten im Prinzip die gleichen Grundsätze wie bei der Entführung ins Ausland (siehe oben unter III. 1.-4.). Der im Ausland zurückgelassene Elternteil kann sich an die dortige Zentrale Behörde mit der Bitte um Hilfe wenden. Das Bundesamt für Justiz hat als deutsche Zentrale Behörde nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen Hinweise für die Antragstellung (Merkblatt Verfahrensweise BfJ HKÜ) verfasst, die an alle Zentralen Behörden im Ausland versandt wurden und den antragstellenden Personen im Ausland zur weitergehenden Information im Einzelfall übermittelt werden. Hierdurch sollen die Antragstellung erleichtert und beschleunigt sowie unnötige Verfahrensverzögerungen vermieden werden. Antragstellende Personen können sich auch unmittelbar an das Bundesamt für Justiz wenden oder direkt – ggf. mit Hilfe eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin – einen Rückführungsantrag beim zuständigen deutschen Familiengericht stellen. Von den über 600 deutschen Familiengerichten sind nur 22 für die Rückführungs-, Umgangs- und Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, der Brüssel II b-Verordnung, dem Haager Kinderschutzübereinkommen und dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen in Verbindung mit den §§ 10-12 IntFamRVG zuständig (jeweils das Familiengericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat; in Niedersachsen, das drei Oberlandesgerichte hat, allein das Amtsgericht Celle). Die Liste finden Sie unter: Zuständige deutsche Gerichte.
Auskunft und Beratung für den entführenden wie auch den zurückgelassenen Elternteil erteilt auch die deutsche Zentrale Anlaufstelle für internationale Kindschaftskonflikte (ZAnK) im Internationalen Sozialdienst (Deutscher Zweig). Möglicherweise kann eine internationale Familienmediation weiterhelfen. Auskünfte hierzu gibt es auch beim Verein MiKK e.V. – Mediation bei internationalen Kindschaftskonflikten (siehe dazu auch unten IX. 3.).
V. Durchsetzung eines Umgangsrechts im Ausland
1. Haager Kindesentführungsübereinkommen
Lebt ein Elternteil mit dem gemeinsamen Kind im Ausland und verweigert dem in Deutschland wohnhaften anderen Elternteil den Umgang mit dem Kind, so kann über das HKÜ versucht werden, ein Umgangsrecht durchzusetzen (Artikel 21 HKÜ). Ein Ersuchen kann beim Bundesamt für Justiz gestellt werden. Nach Übermittlung des Ersuchens an die zuständige ausländische Zentrale Behörde kann in den Vertragsstaaten des Haager Kindesentführungsübereinkommens und des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (s. u. 4.) von den dortigen Gerichten bzw. Behörden ein Recht zum persönlichen Umgang entweder erstmalig begründet oder ein bereits durch deutsche Gerichte eingeräumtes Umgangsrecht durchgesetzt werden. Allerdings werden die durch Artikel 21 HKÜ begründeten Verpflichtungen von den einzelnen Vertragsstaaten unterschiedlich ausgelegt, so dass die Unterstützung durch die ausländischen Zentralen Behörden und Gerichte unterschiedlich ausfallen kann. Insbesondere beschränken zahlreiche Staaten die Unterstützung nach diesen Vorschriften auf Fälle, in denen eine Kindesentführung stattgefunden hat und anschließend Umgang begehrt wird.
2. Brüssel II b-Verordnung
Soll eine bestehende deutsche Umgangsrechtsentscheidung in einem anderen EU-Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dänemarks) durchgesetzt werden, kann die Anerkennung und Vollstreckung auf die Brüssel II b-Verordnung (bzw. der Brüssel II a-Verordnung für Altfälle siehe unter Punkt I.1.) gestützt werden. Die Brüssel II b-Verordnung will – wie schon die Brüssel II a-Verordnung – gewährleisten, dass ein Kind nach der Trennung der Eltern zu beiden den Kontakt aufrechterhalten kann, auch wenn die Eltern künftig in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU leben. Deshalb ist eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über das Umgangsrecht in einem anderen Mitgliedstaat als sog. privilegierte Entscheidung unmittelbar vollstreckbar, wenn die Entscheidung von einer Bescheinigung nach Art. 47 Abs. 1 a) der Verordnung begleitet wird. Dabei ist die Möglichkeit, die Anerkennung anzufechten, stark eingeschränkt (Art. 43 Abs.1 i.V.m. Art. 50 Brüssel II b-Verordnung). Die Umgangsentscheidung ist dann im anderen Staat wie eine inländische Entscheidung zu behandeln und unter den gleichen Voraussetzungen zu vollstrecken.
Wenn sich eine der Parteien nicht an die Umgangsentscheidung hält, kann die andere Partei bei den zuständigen Stellen des Staates, in dem die Entscheidung umgesetzt werden soll (Vollstreckungsmitgliedstaat), die Vollstreckung begehren. Hierzu muss sie eine Ausfertigung der Entscheidung und die Bescheinigung nach Artikel 47 Abs. 1 a) Brüssel II b-Verordnung vorlegen (Art. 46 Abs. 1 Brüssel II b-Verordnung). Die Bescheinigung muss der Person, gegen die vollstreckt werden soll, zugestellt werden, bevor die Vollstreckung beginnen kann (Art. 55 Abs.1 Brüssel II b-Verordnung). Das Vollstreckungsverfahren richtet sich nach den Artikeln 51 f. der Brüssel II b-Verordnung, wird allerdings im Detail, insbesondere bezüglich der konkreten Vollstreckungsmaßnahmen, durch nationales Recht bestimmt. In den meisten EU-Staaten bedeutet dies in der Praxis, dass die Person, die eine ausländische Entscheidung vollstrecken möchte, sich selbst einen örtlichen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin nehmen muss, um im betreffenden Staat das Vollstreckungsverfahren zu betreiben. Die zuständigen Behörden oder Gerichte dieses Mitgliedstaats können die praktischen Modalitäten der Durchführung des Umgangsrechts festlegen, sofern dadurch der Wesensgehalt der Entscheidung nicht verändert wird, Art. 54 Abs. 1 Brüssel II b-Verordnung. Allerdings bietet das Zwangsvollstreckungsrecht einiger Staaten nur begrenzte Möglichkeiten zur Durchsetzung einer Umgangsregelung.
Die Zentrale Behörde berät und unterstützt die Träger der elterlichen Verantwortung, die die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung erwirken wollen gemäß Artikel 79 c) Brüssel II b-Verordnung.
3. Haager Kinderschutzübereinkommen
Das Haager Kinderschutzübereinkommen bietet ebenfalls Möglichkeiten zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Ausland. Der jeweils aktuelle Stand der Vertragsstaaten findet sich – speziell auf Deutschland bezogen – in der Staatenliste sowie allgemein auf der Internetseite der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht.
Wenn sich eine der Parteien nicht an eine vorhandene Umgangsentscheidung hält, kann die andere Partei bei den zuständigen Stellen des Staates, in dem die Entscheidung durchgesetzt werden soll (Vollstreckungsstaat), die Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung beantragen. Die Umgangsentscheidung ist im anderen Staat nach Vollstreckbarerklärung wie eine inländische Entscheidung zu behandeln und unter den gleichen Voraussetzungen wie eine dort ergangene Entscheidung zu vollstrecken (Artikel 28 KSÜ). Allerdings bietet das Zwangsvollstreckungsrecht einiger Staaten nur begrenzte Möglichkeiten zur zwangsweisen Durchsetzung einer Umgangsregelung.
4. Europäisches Sorgerechtsübereinkommen
Auch das Europäische Sorgerechtsübereinkommen ermöglicht die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Ausland. Im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (außer Dänemark) ist es heute jedoch weitgehend durch die Brüssel II b-Verordnung (siehe oben unter 2.) ersetzt worden.
VI. Durchsetzung eines Umgangsrechts in Deutschland
Im Ausland lebende Elternteile oder andere Personen, die Umgang mit einem in Deutschland lebenden Kind haben möchten, können sich an die Zentrale Behörde in ihrem Land oder an das Bundesamt für Justiz als deutsche Zentrale Behörde wenden, sofern sie in einem Vertragsstaat des Haager Kindesentführungsübereinkommens oder des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens leben. Das Bundesamt für Justiz hat als Zentrale Behörde nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen Hinweise für die Antragstellung (Merkblatt Verfahrensweise BfJ HKÜ) verfasst, die an alle Zentralen Behörden im Ausland versandt wurden und dem Antragsteller im Ausland zur weitergehenden Information im Einzelfall übermittelt werden. Hierdurch soll die Antragstellung erleichtert und beschleunigt, unnötige Verfahrensverzögerungen sollen vermieden werden.
1. Neue Umgangsrechtsentscheidung in Deutschland
Gibt es noch keine aktuelle gerichtliche Umgangsregelung, kann das Bundesamt für Justiz – ggf. mit anwaltlicher Hilfe – vor dem zuständigen deutschen Gericht ein Umgangsverfahren namens der im Ausland lebenden antragstellenden Person einleiten, Artikel 21 HKÜ bzw. Artikel 11 Abs. 3 ESÜ i. V. m. § 6 Abs. 2 IntFamRVG und §§ 1684, 1685 BGB. Die deutschen Gerichte sind grundsätzlich international zuständig, wenn das Kind in Deutschland lebt. Örtlich zuständig ist bei einer Antragstellung durch das Bundesamt für Justiz eines der 22 spezialisierten deutschen Familiengerichte erster Instanz (§§ 11, 12 IntFamRVG: in der Regel das Gericht, in dessen Bezirk das Kind sich aufhielt, als der Antrag beim Bundesamt für Justiz einging). Zieht es die im Ausland lebende und Umgang begehrende Person vor, das Verfahren (mit oder ohne Einschaltung anwaltlicher Hilfe) ohne Unterstützung durch das Bundesamt für Justiz zu betreiben, besteht nach § 13 Abs. 2 IntFamRVG eine Wahlmöglichkeit zwischen dem auf internationale Verfahren spezialisierten Familiengericht, bei dem auch das Bundesamt für Justiz ein Verfahren einleiten würde, und dem nach den allgemeinen Vorschriften örtlich näheren allgemeinen Familiengericht (§ 152 FamFG: das Gericht, bei dem eine Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist, andernfalls das Gericht, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat bzw. hilfsweise das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird).
2. Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Umgangsrechtsentscheidung in Deutschland
Liegt eine hinreichende ausländische Umgangsrechtsentscheidung vor, kann diese in Deutschland bei entsprechender Zuwiderhandlung und Nichteinhaltung ggf. nach der Brüssel II b-Verordnung, dem Haager Kinderschutzübereinkommen oder dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen vollstreckt werden. Hierfür wird auf die Erläuterungen oben unter V. 2.-4. verwiesen. Das Bundesamt für Justiz als deutsche Zentrale Behörde ist hierbei im Rahmen seiner gesetzlichen Möglichkeiten behilflich.
Die Anerkennung und Vollstreckung selbst richtet sich nach der Brüssel II b-Verordnung (bzw. der Brüssel II a-Verordnung für Altfälle, siehe unter Punkt I.1.), oder, soweit anwendbar, nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen oder dem Haager Kinderschutzübereinkommen (einschließlich Vollstreckbarerklärung). Zuständig ist in diesen Fällen nur eines der 22 spezialisierten deutschen Familiengerichte (§§ 10, 12 IntFamRVG).
Sind die genannten Rechtsakte nicht anwendbar, kann eine Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland nach nationalem Recht (§§ 86 ff., 108 f. FamFG) möglich sein. Hier gelten in der Regel die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften. Die beschriebene Sonderzuständigkeit der 22 spezialisierten Familiengerichte greift ein, wenn der andere beteiligte Staat zumindest dem Haager Kindesentführungsübereinkommen angehört oder der EU angehört bzw. die antragstellende Person sich ausdrücklich auf Artikel 21 HKÜ beruft oder dabei durch das Bundesamt für Justiz vertreten wird.
VII. Grenzüberschreitende Anerkennung von Sorgerechts- und Umgangsrechtsentscheidungen sowie entsprechender öffentlicher Urkunden und Vereinbarungen
In manchen Fällen sind die Beteiligten nicht daran interessiert, eine Entscheidung zur elterlichen Verantwortung zwangsweise in einem anderen Land durchzusetzen, aber dennoch hat eine oder einer von ihnen ein rechtliches Interesse daran, dass mit Wirkung für und gegen jedermann verbindlich festgestellt wird, ob die Entscheidung in einem anderen Staat anerkannt wird. Dies kann insbesondere dann vorliegen, wenn lediglich Rechte begründet werden (wie etwa Sorgerechte), ohne dass damit eine konkrete und vollstreckbare Anordnung einhergeht.
Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung aus einem EU-Mitgliedstaat sind im Prinzip kraft Gesetzes in allen anderen EU-Staaten (außer Dänemark) ohne weiteres anerkannt (Art. 30 Abs. 1 Brüssel II b-Verordnung (bzw. Art. 21 Abs. 1 Brüssel II a-Verordnung für Altfälle, siehe unter Punkt I.1.). Das Gleiche gilt für Entscheidungen aus anderen KSÜ-Vertragsstaaten (Artikel 23 Abs. 1 KSÜ). Allerdings kann jede Stelle, der eine ausländische Entscheidung vorgelegt wird, prüfen, ob eventuell ein Grund vorliegt, die Anerkennung im Einzelfall zu verweigern (Art. 39 der Brüssel II b-Verordnung, bzw. Art. 23 der Brüssel II a-Verordnung und Art. 23 Abs. 2 KSÜ enthalten solche Gründe). Im Interesse der Rechtssicherheit kann man daher die Anerkennung einer Entscheidung gerichtlich bindend feststellen lassen (Art. 21 Abs. 3 Brüssel II a-Verordnung für Altfälle, siehe unter Punkt I.1.) bzw. Artikel 24 KSÜ) bzw. nach der neuen Verordnung das Nichtvorliegen von Anerkennungsversagungsgründen feststellen lassen (Art. 30 Abs. 3 Brüssel II b-Verordnung). Besonderheiten bestehen im Verhältnis zur Türkei. Hier findet in der Praxis teils noch das ESÜ Anwendung. Entsprechende Merkblätter und Formulare in deutscher und türkischer Sprache sind unter Formulare zu finden.
Anträge auf Anerkennung können entweder direkt in dem Land, in dem die Entscheidung anerkannt werden soll, zu Gericht gebracht oder an das Bundesamt für Justiz oder die Zentrale Behörde des betreffenden anderen Staates gerichtet werden. Das Bundesamt für Justiz kann das Verfahren in Deutschland nicht selbst einleiten, aber das zuständige Gericht und die benötigten Unterlagen benennen. Auch die Unterstützung der anderen Zentralen Behörden beschränkt sich häufig auf diese Informationen.
Auch öffentliche Urkunden und Vereinbarungen sind kraft Gesetzes in den anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 65 Brüssel II b-Verordnung). Die Brüssel II b-Verordnung enthält erstmalig eine Legaldefinition der Begriffe „öffentliche Urkunde“ und „Vereinbarung“. Entscheidend ist zukünftig, dass an der Errichtung oder Eintragung eine Behörde oder andere dazu ermächtigte Stelle mitgewirkt hat. Außerdem regelt die Verordnung nun, dass auch öffentliche Urkunden und Vereinbarungen für ihre Anerkennung von einer Bescheinigung (Art. 66 Brüssel II b-Verordnung) begleitet werden müssen. Ferner muss der Ursprungsstaat international zuständig gewesen sein (Art. 64 Brüssel II b-Verordnung). Auch in diesem Fall kann die Anerkennung aus bestimmten Gründen abgelehnt werden (Art. 68 Brüssel II b-Verordnung) und im Interesse der Rechtssicherheit daher die Feststellung des Nichtvorliegens von Anerkennungsversagensgründen beantragt werden (Art. 65 i.V.m. Art. 30 Abs. 3 Brüssel II b-Verordnung).
Geht es um die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Deutschland aus einem anderen EU-Staat (außer Dänemark) oder einem anderen Vertragsstaat des Haager Kinderschutzübereinkommens oder des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens, so sind die 22 spezialisierten deutschen Familiengerichte erster Instanz zuständig. Gelten diese internationalen Vorschriften nicht für den Ursprungsstaat der Entscheidung und soll die Entscheidung daher nach dem nationalen deutschen Recht (§§ 107 ff. FamFG) anerkannt werden, so gelten die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften (§ 108 Abs. 3 FamFG: das Gericht, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder die Person, auf die sich die Entscheidung bezieht, gewöhnlich aufhält hat bzw. hilfsweise das Gericht, in dessen Bezirk das Interesse an der Feststellung bekannt wird oder das Bedürfnis der Fürsorge besteht; ggf. Ausnahme nach § 13 IntFamRVG).
VIII. Kosten
Für die Tätigkeit des Bundesamts für Justiz und der jeweiligen ausländischen Zentralen Behörde in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen und der Brüssel II b-Verordnung werden keine Gebühren erhoben (Art. 26 Abs. 1 HKÜ, Art. 5 Abs. 3 ESÜ, Art. 83 Brüssel II b-Verordnung).
Bei den übrigen Kosten ist danach zu unterscheiden, ob das Gerichtsverfahren im Ausland geführt werden muss (sog. ausgehende Verfahren mit einer in Deutschland lebenden antragstellenden Person), oder ob es in Deutschland stattfindet (sog. eingehende Verfahren; antragstellende Person lebt im Ausland).
1. Gerichtsverfahren im Ausland
a) Übersetzungen
Erforderliche Übersetzungskosten hat die antragstellende Person grundsätzlich selbst zu tragen. Welche Übersetzungen „erforderlich“ sind, ergibt sich entweder aus den internationalen Vorschriften selbst oder aus der entsprechenden Anforderung des ersuchten Staates im Einzelfall. Nach HKÜ, KSÜ und ESÜ sind Anträge, Mitteilungen und sonstige Schriftstücke in der Regel mit einer Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates an dessen Behörden zu übersenden (Art. 24 Abs. 1 HKÜ, Art. 54 Abs. 1 KSÜ, Art. 6 Abs. 1 ESÜ).
Nach der neuen Brüssel II b-Verordnung kann das Gericht oder die zuständige Behörde, vor dem die Anerkennung einer Entscheidung geltend gemacht wird, eine Übersetzung der übersetzbaren Inhalte der Freitextfelder der Bescheinigung nach Art. 31 Abs.1 b) und ggfs. der Entscheidung oder der gleichwertigen Unterlagen nach Artikel 32 verlangen (Art. 31 Abs. 2 und 3, Art. 31 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung). Für die Vollstreckung kann ebenfalls eine Übersetzung der übersetzbaren Inhalte der Freitextfelder der Bescheinigung, in der die zu vollstreckende Verpflichtung angegeben ist, sowie erforderlichenfalls der Entscheidung verlangt werden (Art. 35 Abs. 3 und 4 Brüssel II b-Verordnung). Dies gilt auch für die Anerkennung und Vollstreckung sog. privilegierten Entscheidungen (s.o.), d.h. Entscheidungen die Umgangsrechte gewähren und sorgerechtliche Herausgabeentscheidungen im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts nach Ablehnung der Rückführung (Art. 43 Abs. 3 und Art. 46 Abs. 2 und 3 Brüssel II b-Verordnung). Auch im Verfahren auf Versagung der Vollstreckung kann die Vorlage einer Übersetzung der Freitextfelder, welche die zu vollstreckende Verpflichtung enthalten, oder der Entscheidung verlangt werden (Art. 59 Abs. 4 und 4 Brüssel II b-Verordnung). Darüber hinaus kann die Person, gegen die sich die Vollstreckung richtet, unter Umständen eine Übersetzung der Entscheidung sowie der übersetzbaren Freitextfelder der Bescheinigung nach Art. 47 Brüssel II b-Verordnung verlangen (Art. 55 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung).
Art. 91 Abs. 2 Brüssel II b-Verordnung stellt klar, dass eine nach dieser Verordnung erforderliche Übersetzung in die Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats zu erfolgen hat.
Nach der alten Brüssel II a-Verordnung (Fortgeltung für Altfälle, siehe unter Punkt I.1.) kann das Gericht, bei dem die Feststellung der Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung aus einem anderen EU-Staat oder deren Vollstreckbarerklärung beantragt wird, beglaubigte Übersetzungen der Entscheidung und sonstiger in Artikel 37 der Verordnung genannter Urkunden verlangen. Bei Entscheidungen zu Umgangsrecht oder Kindesrückgabe, die von einer Bescheinigung nach Artikel 41 oder 42 der Verordnung begleitet werden, ist nach Artikel 45 Abs. 2 der Verordnung eine beglaubigte Übersetzung des Eintrags unter Nr. 12 der Bescheinigung nach Artikel 41 betreffend die Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts bzw. des Eintrags unter Nr. 14 der Bescheinigung nach Artikel 42 betreffend die Einzelheiten der Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen, beizufügen.
Darüber hinaus enthält die Verordnung keine weiteren Regelungen zur Erforderlichkeit von Übersetzungen. Daher sind hier in der Regel nur solche weiteren Übersetzungen „erforderlich“, die der ersuchte Staat im Einzelfall anfordert.
Ist der Antrag
- in einem anderen EU-Mitgliedstaat
- in einem anderen Vertragsstaat des Haager Kindesentführungsübereinkommens,
- des Haager Kinderschutzübereinkommens oder
- des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens
zu erledigen, kann das Amtsgericht am gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person in Deutschland Befreiung von den Übersetzungskosten erteilen, wenn die antragstellende natürliche Person (in der Regel ein Elternteil) die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe erfüllt (§ 5 Abs. 2 IntFamRVG). In diesem Fall veranlasst das Bundesamt für Justiz die erforderlichen Übersetzungen auf eigene Kosten. Nachträglich kann das Bundesamt Kosten für Übersetzungen, die die antragstellende Person selbst veranlasst hat, nicht erstatten.
b) Gerichtsverfahren
Das Gerichtsverfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Sorgerechts- oder Umgangsentscheidung in einem anderen Vertragsstaat nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen ist, mit Ausnahme eventueller Aufwendungen für die Kindesrückführung, für den antragstellenden Elternteil kostenfrei, Artikel 5 Abs. 3 ESÜ. Auch nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen werden Gerichts- und Anwaltskosten in Rückführungs- und Umgangsverfahren dem antragstellenden Elternteil grundsätzlich nicht auferlegt (Artikel 26 Abs. 2 HKÜ). Zahlreiche Staaten haben jedoch einen Vorbehalt zum HKÜ eingelegt, wonach sie den Antragsteller nur insoweit von Gerichts- und Anwaltskosten freistellen, wie dies von ihrem System der Prozesskosten- und Beratungshilfe gedeckt ist. Das Gleiche gilt in zahlreichen Staaten, wenn nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen eine neue Umgangsentscheidung bei Gericht erwirkt werden soll (Artikel 11 Abs. 3 in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 4 ESÜ), sowie in Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der Brüssel II b-Verordnung, bzw. der alten Brüssel IIa-Verordnung (für Altfälle, siehe unter Punkt I.1.) oder dem Haager Kinderschutzübereinkommen. Diese Staaten finden Sie in der Staatenliste. Ob bei entsprechendem Vorbehalt finanzielle Unterstützung oder sogar Kostenfreiheit gewährt wird, hängt in vielen Staaten von einer Prüfung der finanziellen Bedürftigkeit der antragstellenden Person ab, manchmal auch zusätzlich von den möglichen Erfolgsaussichten des Gerichtsverfahrens. Nähere Auskunft zu den Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Voraussetzungen in einzelnen Ländern erteilt die Zentrale Behörde für internationale Sorgerechtskonflikte im Bundesamt für Justiz.
2. Gerichtsverfahren im Inland
Bei Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen vor deutschen Gerichten, bei Verfahren zur Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Sorgerechts- oder Umgangsentscheidung nach der Brüssel II a-Verordnung oder dem Haager Kinderschutzübereinkommen und bei Verfahren mit dem Ziel einer erstmaligen oder neuen deutschen Umgangsregelung nach HKÜ oder ESÜ fallen in Deutschland grundsätzlich Gerichts- und Anwaltskosten an. Dies gilt unabhängig davon, ob die genannten Verfahren mit oder ohne Unterstützung des Bundesamts für Justiz als deutscher Zentraler Behörde geführt werden. Es gilt auch für sonstige Verfahren ohne Beteiligung des Bundesamts für Justiz, die auf die Herbeiführung einer inländischen Sorgerechts- oder Umgangsentscheidung in grenzüberschreitenden Fällen gerichtet sind (etwa wenn die Zuständigkeit deutscher Gerichte sich aus der Brüssel II b-Verordnung oder dem KSÜ ergibt). Sofern und soweit die im Ausland lebende antragstellende Person jedoch Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe hat, werden diese Kosten vom deutschen Staat übernommen. Über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe entscheidet das Gericht, das auch über den Antrag in der Sache selbst entscheidet. Für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe kommt es zum einen auf die finanzielle Bedürftigkeit, zum anderen auf die voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Hauptsache an. Ein Antragsformular mit Erläuterungsblatt ist in deutscher Sprache mit verschiedenen Übersetzungen erhältlich.
IX. Sicherungs- und Schutzmaßnahmen; Mediation
Schutz vor internationaler Kindesentführung kann nur in sehr begrenztem Maß gewährt werden, weil ihre Ursachen höchst vielfältiger Natur sind. Neben einzelnen gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen in Fällen konkret zu erwartender Kindesentführung lassen sich durch Vereinbarung einige allgemeine Schutzmaßnahmen treffen, die zumindest die Rechtsposition des Elternteils, der die Entführung befürchtet, stärken können.
1. Gerichtliche Sicherungsmaßnahmen
Begründen bestimmte Tatsachen die Annahme, dass ein Elternteil beabsichtigt, Deutschland mit dem Kind zu verlassen, kann der andere Elternteil beim zuständigen Amtsgericht beispielsweise beantragen, im Wege einstweiliger Anordnung
- das alleinige Sorgerecht auf ihn zu übertragen,
- das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf ihn zu übertragen,
- das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt zu übertragen,
- dem betreffenden anderen Elternteil zu untersagen, ohne Zustimmung des Gerichts mit dem Kind den tatsächlichen Aufenthalt zu wechseln,
- dem betreffenden anderen Elternteil aufzugeben, den Reisepass des Kindes an das Jugendamt oder das Gericht herauszugeben,
- bei Kindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit die diplomatische oder konsularische Vertretung dieses Staates in Deutschland von der Passhinterlegung zu unterrichten und darum zu bitten, bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung in der Hauptsache kein Ersatzdokument auszustellen,
- den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes vorübergehend in einer neutralen Einrichtung anzuordnen,
- die Ausschreibung einer Grenzfahndung für das Hoheitsgebiet der sog. Schengen-Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn) zu veranlassen.
Die Grenzsperre durch Ausschreibung zur Grenzfahndung wird vom Bundespolizeipräsidium, Heinrich-Mann-Allee 103, 14473 Potsdam, auf Ersuchen des Amtsgerichts vorgenommen. Das Ersuchen muss sich auf eine konkrete, sich tatsächlich abzeichnende Gefahr gründen, dass der andere Elternteil oder eine andere Person das Kind widerrechtlich ins Ausland verbringen will. Das Bundespolizeipräsidium kann dann die Ausschreibung des Kindes im Schengener-Informationssystem (SIS) zur Aufenthaltsermittlung oder Ingewahrsamnahme sowie des entführenden Elternteils zur Kontrolle (fahndungsbegleitend im geschützten Grenzfahndungsbestand) veranlassen, so dass Fahndungsmaßnahmen eingeleitet werden können.
2. Vereinbarungen
Bei Ehen unterschiedlicher Nationalität kann die sorgerechtliche Stellung der Ehefrau u. U. durch Ehevertrag gestärkt werden. Im Konfliktfall ließe sich auf diese Weise vor den ausländischen Gerichten oder Verwaltungsbehörden die Rechtsposition verbessern.
Zu beachten ist dabei, dass Eheverträge, um dieses Ziel zu erreichen, häufig den Formvorschriften des Staates entsprechen müssen, in dem Rechte aus ihm hergeleitet werden sollen.
Einzelheiten sind ggf. über die Botschaften und Konsulate der betreffenden Staaten in Deutschland zu erfragen. Auskunft und Beratung erteilen auch die Zentrale Anlaufstelle für internationale Kindschaftskonflikte (ZAnK) sowie der Verband binationaler Familien und Partnerschaften.
3. Mediation
Gerade in Familienstreitfällen kommt in Betracht, dass die Eltern im Wege einer Familienmediation versuchen, mit professioneller Unterstützung selbst eine Lösung ihres Konflikts zu finden.
Eine binationale Co-Mediation, die von zwei Mediatoren gemeinsam durchgeführt wird, bietet sich insbesondere dort an, wo auf diese Weise die Neutralität oder das Verständnis für die Anliegen beider Parteien besser gewährleistet werden können. In der Regel besteht das Mediatorenteam aus einem Mann und einer Frau, von denen eine(r) einen juristischen und eine(r) einen psychosozialen Grundberuf hat. Auch die unterschiedliche kulturelle und sprachliche Herkunft der beiden Elternteile wird von den Co-Mediatoren reflektiert.
Sofern die an einem grenzüberschreitenden Sorge- oder Umgangsrechtskonflikt beteiligten Parteien – in der Regel die Eltern – Interesse an einer Mediation erkennen lassen, arbeitet das Bundesamt für Justiz anschließend Hand in Hand mit MiKK e. V., einem gemeinnützigen Verein, der rund um das Thema Mediation bei grenzüberschreitenden Kindesentführungen sowie Umgangs- und Sorgerechtskonflikten unterstützend, beratend und vermittelnd tätig ist. Für nähere Informationen siehe die Website des Vereins.
Im Einzelfall kann durch das Bundesamt für Justiz auf Antrag der Beteiligten die Übernahme der Kosten für die Mediation geprüft und bei vorhandenen Haushaltsmitteln nach den Voraussetzungen der finanziellen Bedürftigkeit bewilligt werden.
In Verfahren, die beim Bundesamt für Justiz nach einer der oben genannten Rechtsgrundlagen eingeleitet wurden, kann MiKK e. V. zum Beispiel passende Mediatoren finden, Räume organisieren und die Mediation insgesamt praktisch in die Wege leiten. All dies geschieht in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Justiz, das sich wiederum direkt mit dem zuständigen Gericht koordiniert, damit durch die Mediation keine Verfahrensverzögerung eintritt und die Ergebnisse ggf. vom Gericht unmittelbar in seine Entscheidung aufgenommen werden können. Damit sind sie anschließend ggf. auch vollstreckbar, d. h. zwangsweise durchsetzbar, wenn eine Partei sich nicht an die erzielte Vereinbarung hält.
Allgemeine Auskunft und Beratung zur Mediation erteilt auch die Zentrale Anlaufstelle für internationale Kindschaftskonflikte (ZAnK).