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Häufig gestellte Fragen

Zum Thema "Rahmenbeschluss Geldsanktionen"

Was regelt das Gesetz? Was ist neu gegenüber der bisherigen Rechtslage?

Mit dem Gesetz vom 18. Oktober 2010 wurde der Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die An­wendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (Rahmenbeschluss Geldsanktionen) in Deutschland umgesetzt. Die Umsetzung erfolgte insbesondere durch die Schaffung der §§ 86 ff. des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Ziel ist die grenzüberschreitende Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in der Euro­päischen Union. Das gilt für Geldstrafen und Geldbußen, die in Deutschland verhängt werden, ebenso wie für ausländische Geld­sanktionen. Das heißt, Entscheidungen anderer EU-Mitgliedstaaten über die Verhängung von Geldstrafen und Geldbußen ein­schließlich Verfahrenskosten, Entschädigungen für das Opfer und Geldauflagen für Opferunterstützungsorganisationen sind grundsätzlich anzuerkennen und in Deutschland zu vollstrecken. Davon erfasst sind gerichtliche und behördliche Entscheidungen. Letztere allerdings nur, wenn sie vor einem auch für Strafsachen zuständigen Gericht angefochten werden können. Die Sanktionen können sich sowohl gegen natürliche als auch juristische Personen, wie etwa Unternehmen, richten. Bereits nach bisher geltender Rechtslage konnten ausländische Geldstrafen und Geldbußen in Deutschland vollstreckt werden. In der Praxis fand allerdings wegen des damit verbundenen formalen Aufwands eine Übernahme der Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen nahezu nicht statt. Eine funktionierende, auch Straßenverkehrsdelikte umfassende bilaterale Regelung existierte lediglich im Verhältnis zu Österreich.

§§ 86 ff. IRG

Warum sollen Geldsanktionen europaweit vollstreckt werden?

Wer sich in einer fremden Rechtsordnung bewegt, muss sich an diese halten. Wer also beispielsweise in einem anderen Staat Auto fährt, muss die dortigen Straßenverkehrsregeln beachten. Mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses Geldsanktionen sinken die Chancen für im Ausland ansässige (natürliche und juristische) Personen, sich einer rechtskräftig verhängten Geldsanktion entziehen zu können. Werden Verkehrsverstöße konsequent auch dann geahndet, wenn die verursachende Person im europäischen Ausland wohnt, wirkt sich dies positiv auf die Sicherheit im Straßenverkehr aus. Aber auch andere rechtskräftig verhängte Geldsanktionen, z. B. aufgrund von Betrug oder Diebstählen, von Umweltverstößen oder Verstößen gegen das Schwarzarbeitsgesetz, können grenzüberschreitend vollstreckt werden. Gleichermaßen haben auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Interesse daran, etwaige Rechtsverstöße zu ahnden und zu vollstrecken, die in ihrem Land durch ausländische Personen begangen werden.

Haben auch andere Mitgliedstaaten der EU den Rahmenbeschluss umgesetzt?

Ja. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben den Rahmenbeschluss mittlerweile umgesetzt.

Aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und der Beendigung des Übergangszeitraums zum 31. Dezember 2020 können nunmehr keine Vollstreckungshilfeersuchen mehr dorthin gestellt und keine Ersuchen mehr von dort übermittelt werden. Die bereits im Vereinigten Königreich gestellten Ersuchen sowie die vor dem 1. Januar 2021 aus dem Vereinigten Königreich hier eingegangenen Ersuchen werden jedoch bis zu deren Abschluss weiterbearbeitet.

Wer ist für die Bewilligung und Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen im Inland zuständig?

Grundsätzlich ist das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn für die Prüfung der Zulässigkeit, die Bewilligung und die Vollstreckung der Geldsanktionen zuständig. Etwas anderes gilt, wenn im Ausland eine Geldstrafe gegen Jugendliche oder Heranwachsende verhängt wurde. In diesen Fällen entscheidet das zuständige Amtsgericht auf Antrag des BfJ über die Zulässigkeit der Voll­streckung. Das BfJ hat die Vollstreckung dann nach Maßgabe der gerichtlichen Entscheidung zu bewilligen.

Wann wird ein ausländisches Vollstreckungshilfeersuchen durch das Bundesamt für Justiz zurückgewiesen?

Das Bundesamt für Justiz (BfJ) muss die Anerkennung und Vollstreckung insbesondere ablehnen, wenn

  • die verhängte Geldsanktion einen Betrag von 70 Euro nicht erreicht,
  • die betroffene Person wegen der Tat im Inland verfolgt und gegen sie bereits eine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist,
  • für die der Entscheidung zugrunde liegende Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist und die Vollstreckung nach deutschem Recht bereits verjährt ist,
  • die betroffene Person nach deutschem Recht aufgrund ihres Alters strafrechtlich nicht verantwortlich handelte (Strafun­mündigkeit) oder strafrechtliche Immunität genießt,
  • im Falle eines schriftlichen Verfahrens die betroffene Person nicht über ihre Möglichkeiten zur Anfechtung und bestehende Fristen informiert wurde,
  • im Falle von Abwesenheitsurteilen die betroffene Person nicht die Möglichkeit hatte, sich in einem mündlichen Termin zu äußern,
  • die betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein, und sie dies gegenüber der Bewilligungsbehörde (dem BfJ) geltend macht.

Werden auch Fälle der sogenannten Halterhaftung vollstreckt?

Grundsätzlich wird der Einwand, für die zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein (das betrifft insbesondere die Fälle der sogenannten Halterhaftung), vom BfJ berücksichtigt. Die einschlägige gesetzliche Regelung, § 87b Absatz 3 Nummer 9 IRG, setzt allerdings voraus, dass man die fehlende Verantwortung nicht im Ausland schon erfolgreich hätte vorbringen können. So kann z. B. in den Niederlanden nach dort geltendem Recht ein Bescheid aufgehoben werden, wenn der Adressat des Bescheides das Tatfahrzeug für einen Zeitraum von maximal drei Monaten gewerblich vermietet hat und einen entsprechenden Mietvertrag vorlegt. Ein solcher Einwand kann dann im deutschen Vollstreckungshilfeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Zudem muss der Einwand dem BfJ gegenüber aktiv erhoben werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass dieser Einwand nach obergerichtlicher Rechtsprechung wegen Verspätung zurückgewiesen werden kann, wenn er erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht wird.

§ 87b Absatz 3 Nummer 9 IRG

Was kann ich tun, wenn ich einen Bescheid über eine Geldsanktion aus dem EU-Ausland erhalte?

Mit Umsetzung des Rahmenbeschlusses Geldsanktionen können Sie nicht mehr darauf vertrauen, dass eine Vollstreckung aus­ländischer Geldsanktionen kaum vorkommt. Ob und wie Sie sich gegen eine Geldsanktion zur Wehr setzen sollten, hängt vom Einzelfall ab. Auch, ob eine Anreise in das Ausland zur Geltendmachung Ihrer Einwände gegen eine verhängte Geldsanktion notwendig ist, lässt sich nicht allgemeingültig sagen, sondern hängt von der Verfahrensordnung des jeweiligen ausländischen Staates ab. Gegebenenfalls bietet es sich an, sich anwaltlich beraten zu lassen. Grundsätzlich gilt, dass etwaige Einwände gegen­über der Behörde, die die Sanktion verhängt hat, in der jeweiligen Landessprache vorzubringen sind - oder jedenfalls in einer Sprache, die von dem betreffenden Staat gegebenenfalls ebenfalls akzeptiert wird (z. B. Englisch). In Deutschland müssen sich auch fremdsprachige Personen in Deutsch gegen etwaige Sanktionen zur Wehr setzen.

Allerdings müssen ausländische gerichtliche oder behördliche Entscheidungen, die schriftlich zugestellt werden, grundsätzlich ihrem wesentlichen Inhalt nach übersetzt sein.

Welche Rechtsmittel können betroffene Personen gegen den Bewilligungsbescheid des Bundesamts für Justiz (BfJ) einlegen?

Betroffene Personen (sofern es sich bei ihnen nicht um Jugendliche und Heranwachsende handelt, gegen die im Ausland eine Geldstrafe verhängt wurde) können gegen den Bewilligungsbescheid innerhalb einer Frist von zwei Wochen Einspruch einlegen.

Ist der Einspruch zulässig, so hilft das BfJ ihm ab, sofern der Einwand berechtigt ist. Ansonsten gibt es das Verfahren an das zuständige Amtsgericht ab. Das Gericht überprüft die Zulässigkeit des Einspruchs und die Bewilligungsentscheidung im Hinblick auf die die Bewilligungsfähigkeit des Ersuchens. Das ausländische Erkenntnisverfahren wird dabei inhaltlich nicht überprüft. Hält das Gericht den Einspruch zwar für zulässig, aber für unbegründet, weist es den Einspruch zurück. Hiergegen kann die betroffene Person Rechtsbeschwerde vor dem Oberlandesgericht einlegen. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, wenn die Überprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten oder wenn der amtsgerichtliche Beschluss wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.

Ist der Einspruch unzulässig, d. h. wurde er nicht rechtzeitig, nicht in der vorgeschriebenen Form oder sonst nicht wirksam eingelegt, so darf das BfJ diesen aus eigener Sachkompetenz verwerfen. Diese Verwerfungsbefugnis des BfJ, die es für Verwaltungsbehörden auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gibt, wurde mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. November 2020 (BGBl. I S. 2474) eingeführt und gilt für die Ersuchen, die ab dem 27. November 2020 beim BfJ eingehen. Hält die betroffene Person die Verwerfungsentscheidung des BfJ nicht für richtig bzw. ist sie nicht damit einverstanden, so kann sie dagegen gerichtlich vorgehen und innerhalb einer Frist von zwei Wochen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.

Wie werde ich im deutschen Vollstreckungshilfeverfahren angehört?

Vor einer Bewilligungsentscheidung hört das Bundesamt für Justiz die betroffene Person an und gibt ihr Gelegenheit, binnen zwei Wochen nach Zugang des Anhörungsschreibens Stellung zu nehmen.

Was ist, wenn die Tat, die der ausländischen Geldsanktion zugrunde liegt, schon sehr weit zurückliegt?

Die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung ist grundsätzlich zulässig, solange sie nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht verjährt ist. Die Verjährung nach deutschem Recht spielt dann eine Rolle, wenn nach Rechtskraft des Bewilligungs­bescheides drei bzw. fünf Jahre verstrichen sind, oder wenn auch die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist. Dies ist etwa der Fall, wenn die in Frage stehende Tat sowohl im Ausland als auch im Inland begangen wurde (z. B. bei einem grenzüberschreitenden Verkehrsverstoß).

Was ist, wenn eine Geldsanktion, die gegen mich verhängt wurde, viel höher ist, als dies nach deutschem Recht möglich wäre. Muss ich das bezahlen?

Die Festlegung der Sanktionshöhe durch das Ausland wird grundsätzlich in Deutschland akzeptiert. Es können also auch ausländische Bescheide vollstreckt werden, die in dieser Höhe für dasselbe Verhalten in Deutschland nicht ergangen wären. Eine Anpassung an das innerstaatliche Höchstmaß findet nur ausnahmsweise dann statt, wenn die Tat, wegen der der Bußgeldbescheid erlassen wurde, nicht auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begangen wurde, und für diese Tat auch eine inländische Gerichtsbarkeit besteht (vorstellbar etwa bei grenzüberschreitenden Umweltverstößen, bei denen ein Schaden auch in Deutschland eintritt).

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