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Stand des Verfahrens

Die Bekanntmachungen sind in zeitlicher Reihenfolge sortiert (jüngste zuerst).

Allgemeine Verfahrensdaten

Gericht: Oberlandesgericht Hamm

Aktenzeichen: I-31 MK 1/21

Bekanntmachung vom 16.02.2024, Oberlandesgericht Hamm, Zwischenentscheidung

Datum der Zwischenentscheidung: 14.02.2024

Beschlussinhalt:

In Sachen Bundesverband der Verbraucherzentralen e.V. gegen Sparkasse KölnBonn, Anstalt des öffentlichen Rechts
Der Verhandlungstermin vom 26. Februar 2024 wird aufgehoben.

Das Ruhen des Verfahrens wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Kammergericht Berlin geführten Verfahrens zum Aktenzeichen 26 MK 1/21 oder bis zu dessen anderweitigen endgültigen Beendigung angeordnet.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Wege der im Dezember 2021 eingereichten Musterfeststellungsklage Feststellungen zu den Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen von Verbrauchern auf Rückzahlung von Entgelten und Gebühren
gegen die Beklagte. In dem Verfahren haben innerhalb von zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung der Klage mehr als 50 Verbraucher Ansprüche zur Eintragung in das Klageregister angemeldet.

Der Kläger hat zeitgleich ein weiteres Musterfeststellungsverfahren vor dem Kammergericht Berlin (Az. 26 MK 1/21) eingeleitet. Die dort gestellten Anträge, die im Klageregister des Bundesamtes für Justiz am 19. Januar 2022 öffentlich bekannt gemacht worden sind, sind mit den im vorliegenden Verfahren ursprünglich angekündigten Anträgen identisch. Beide Verfahren stützen sich im Wesentlichen darauf, dass eine von der jeweiligen beklagten Sparkasse verwendete Vertragsklausel zur Änderung von Entgelten im Rahmen von Zahlungsdiensterahmenverträgen u.a. unwirksam ist.

In Absprache mit den Parteien bzw. ihren Prozessbevollmächtigten ist im hiesigen Verfahren im August 2023 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 26. Februar 2024 bestimmt worden. Zur Vorbereitung des Termins hat der Senat mit Beschluss vom 17. Januar 2024 Hinweise zur Zulässigkeit der vom Kläger verfolgten Feststellungsziele erteilt.

Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2024 sowie mit Schriftsatz vom 7. Februar 2024 beantragt der Kläger, das Ruhen des hiesigen Verfahrens bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem Kammergericht oder dessen anderweitigen Beendigung anzuordnen.

Zur Begründung führt der Kläger aus, das Ruhen des Verfahrens sei zweckmäßig, da es den Beteiligten die Möglichkeit eröffne, rechtzeitig die Erkenntnisse zu berücksichtigen, die sich aufgrund des parallelen Verfahrens gegen eine andere Sparkasse vor dem Kammergericht (Az. 26 MK 1/21) ergäben. Das vor dem Kammergericht geführte Verfahren betreffe eine vergleichbare Konstellation; es stellten sich in beiden Verfahren die identischen grundlegenden Rechtsfragen. Eine mündliche Verhandlung vor dem Kammergericht habe am 22. November 2023 stattgefunden; Termin zur Verkündung einer Entscheidung sei am Schluss der Sitzung auf den 21. Februar 2024 bestimmt worden. Es sei sicher anzunehmen, dass die jeweils unterliegende Partei in dem vor dem Kammergericht geführten Verfahren Revision einlegen werde und nahezu alle wesentlichen Rechtsfragen in der Revision zu dem anstehenden Urteil des Kammergerichts geklärt würden. Es entspreche daher aus Sicht beider Parteien in besonderer Weise dem Gedanken der Prozessökonomie, keine doppelte Überprüfung gleicher Rechtsfragen zu veranlassen. Der Antrag nach §251 ZPO stelle keine Reaktion auf die Hinweise des Senats zur Zulässigkeit der Feststellungsziele dar. Die Abstimmung mit der Beklagten sei bereits vor Zustellung des Beschlusses begonnen worden.

Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 5. Februar 2024 ebenfalls, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2024 erklärt sie sich mit einem befristeten Ruhen bis zum rechtskräftigen Abschluss des parallel gelagerten Rechtsstreits vor dem Kammergericht Berlin einverstanden.


II.

Die Parteien des Klageverfahrens haben übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Kammergericht geführten Verfahrens 26 MK 1/21 beantragt. Gemäß § 251 Satz 1 ZPO ist das Ruhen des Verfahrens auf Antrag beider Parteien anzuordnen, wenn anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen die Anordnung zweckmäßig ist. Die Voraussetzungen dieser auf den zivilrechtlichen Parteienprozess zugeschnittenen, aber nach § 46 EGZPO, § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung auf die Musterfeststellungsklage entsprechend anwendbaren Regelung liegen hier vor.

1. § 251 ZPO ermöglicht es den Parteien, das Verfahren zum Stillstand zu bringen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Zweckmäßig ist das Ruhen des Verfahrens regelmäßig dann, wenn Umstände vorliegen, auf Grund derer mit hinreichender Sicherheit zu erwarten steht, dass eine Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch Maßnahmen außerhalb des Verfahrens erfolgen wird (vgl. OVG Münster, NJW 1962, 1931; VGH München, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 23 C 06.2909, BeckRS 2006, 32946; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2011, 340; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 251 Rn. 6). § 251 ZPO ist insoweit auf einen Ausgleich zwischen gerichtlicher Prozessförderungspflicht und Dispositionsgrundsatz der Parteien gerichtet (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 251 Rn. 1; Anders/Gehle/Becker, 82. Aufl. 2024, ZPO § 251 Rn. 3).

Der Kläger führt ein Parallelverfahren vor dem Kammergericht, welches unstreitig weitgehend identische Feststellungsziele wie das vorliegende Verfahren zum Gegenstand hat. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass die am 21. Februar 2024 anstehende Entscheidung des Kammergerichts entweder durch ihn oder durch die dortige beklagte Sparkasse dem Bundesgerichtshof zur Überprüfung vorgelegt werden wird. Ist aber anzunehmen, dass im Parallelverfahren die für das vorliegende Verfahren bedeutsamen Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof geklärt werden, ist die Anordnung des Ruhens des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Parallelverfahrens zweckmäßig. Die Parteien des hiesigen Verfahrens weisen zutreffend darauf hin, dass ein Rechtsmittel gegen ein Urteil des Senats obsolet werden dürfte, liegen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zu den maßgeblichen Fragen vor. Denn in diesem Fall könnte nicht nur der Senat die höchstrichterliche Rechtsprechung berücksichtigen; es ist auch zu erwarten, dass die Parteien aus dem Prozessergebnis die entsprechenden Folgerungen für das stillgelegte Verfahren ziehen werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 24. November 1983 – 1 B 1452/83, juris; BPatG, Beschluss vom 16. Juli 2014 – 29 W (pat) 18/14, BeckRS 2014, 15519; Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Auflage 2022, § 251 Rn. 6). Den Parteien blieben danach höchstwahrscheinlich Kosten für ein Rechtsmittelverfahren erspart; auch eine anderweitige Beendigung des Verfahrens wäre nach Vorliegen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den klärungsbedürftigen Rechtsfragen nicht ausgeschlossen. Das Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung in dem vor dem Kammergericht anhängigen Verfahren entspricht danach insbesondere dem Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit.

2. Der Anordnung stehen etwaige Interessen von angemeldeten Verbrauchern an einer möglichst umgehenden Entscheidung nicht entgegen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit im Sinne des § 251 ZPO sind die hier zu erwartenden Auswirkungen des rechtskräftig abgeschlossenen Parallelrechtsstreits auf das konkrete Verfahren der Parteien, nicht etwaige Auswirkungen einer streitigen Entscheidung des Senats auf weitere mögliche, derzeit jedoch nicht konkret absehbare Individualklagen von Verbrauchern (vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2011, 340, 341). Denn nur der Kläger und die Beklagte, die auch das finanzielle Risiko tragen, bestimmen durch ihre Prozesshandlungen das Verfahren, während den angemeldeten Verbrauchern nach dem gesetzgeberischen Willen keine solchen Rechte eingeräumt worden sind (vgl. BT-Drucks. 19/2507 Seite 16 und 26); gemäß § 46 EGZPO, § 610 Abs. 6 BGB in der bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung sind insbesondere die §§ 66 bis 74 ZPO nicht anwendbar. Der Anspruch des angemeldeten Verbrauchers auf rechtliches Gehör wird durch diese Ausgestaltung des Verfahrens auch nicht verletzt. Der Verbraucher trifft seine Entscheidung, mittels der Anmeldung an den Wirkungen des Musterfeststellungsverfahrens teilzunehmen, ohne dass ihm eine aktive Beteiligung eingeräumt ist, freiwillig (vgl. MüKoZPO/Menges, 6. Aufl. 2020, § 610 Rn. 26; BT- Drucks. 19/2507, Seite 16; kritisch Magnus, NJW 2019, 3177, 3178).

Diesem Ergebnis entspricht, dass die Parteien ungeachtet von Verbraucherinteressen das Musterfeststellungsverfahren durch Klagerücknahme oder übereinstimmende Erledigungserklärung gemäß § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung i.V.m. § 91a oder § 269 ZPO jederzeit beenden können (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Auflage 2020, § 607 ZPO Rn. 18 sowie §611 Rn. 4), ohne dass der angemeldete Verbraucher hierauf Einfluss nehmen kann. Es kann den Parteien erst recht nicht verwehrt sein, einen Stillstand des Verfahrens bei Vorliegen von wichtigen Gründen zu erreichen. Einen Anspruch des Verbrauchers auf Förderung und Beendigung eines bereits eingeleiteten Musterfeststellungsverfahrens kennt das Gesetz in der hier gültigen Fassung demgegenüber nicht. Das Verfahren unterliegt – wie dargelegt – allein der Dispositionsbefugnis der Parteien (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2010, 166).

Soweit der Kläger nach der Intention des Gesetzgebers grundsätzlich für Verbraucher tätig wird, folgt hieraus nichts Abweichendes. Es obliegt nach Auffassung des Senats dem Kläger, vor Stellen eines – nach § 251 ZPO für die Anordnung erforderlichen – Antrags zu entscheiden, ob Belange der Verbraucher dem eigenen Interesse an einem Stillstand des Verfahrens unterzuordnen sind. Diese Abwägung ist im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung nicht vorzunehmen bzw. nachzuholen, zumal solche Belange der Verbraucher angesichts der Ausgestaltung des Verfahrens ohnehin nicht hinreichend ermittelbar sind. Insoweit kann insbesondere dahinstehen, ob bei einem Stillstand des Verfahrens die durch Erhebung der Musterfeststellungsklage grundsätzlich ausgelöste Hemmung der Verjährung für Ansprüche, die von Verbrauchern zum Klageregister wirksam angemeldet worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20, NJW 2021, 3250 Rn. 22 ff.), nach sechs Monaten gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. Satz 3 BGB in der bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung endet (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 9. Juni 2023 – 4 U 35/22, BeckRS 2023, 16256 Rn. 44 ff.; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 251 Rn. 18; BeckOGK/Meller-Hannich, Stand 15.01.2024, BGB § 204 Rn. 415) oder nicht (vgl. Art. 229 § 65 EGBGB). Dem Verbraucher bleibt es – jedenfalls bis zum Ablauf des Tages
des Beginns der mündlichen Verhandlung – auch unbenommen, die Anmeldung seiner Ansprüche gemäß § 46 EGZPO, § 608 Abs. 3 ZPO in der bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung zurückzunehmen und diese in unverjährter Zeit in einem Individualprozess weiterzuverfolgen (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2019, 1151 Rn. 8; MüKoZPO/Menges, 6. Aufl. 2020, § 610 Rn. 9 f.). Gleichermaßen kann er so einer durch die Anordnung nach § 251 ZPO aufgedrängten Verfahrensverzögerung entgehen.

3. Die danach vom Senat zu treffende (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ-RR 2011, 624; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2011, 340, 341) Anordnung war aufgrund der dargelegten Zweckmäßigkeitserwägungen auf Antrag der Parteien bis zur Beendigung des Parallelverfahrens zu befristen (vgl. MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 251 Rn. 21).

Bekanntmachung vom 26.01.2024, Oberlandesgericht Hamm, Zwischenentscheidung

Datum der Zwischenentscheidung: 17.01.2024

Beschlussinhalt:

1. An der Zulässigkeit des Feststellungsziels zu 2 bestehen Zweifel. Es ist nach dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, dass von ihm Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von zehn Verbrauchern abhängen (§ 606 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Abs.
3 Nr. 2 ZPO [in der bis zum 12. Oktober 2023 gültigen Fassung, im Folgenden aF], § 46 EGZPO). Ferner dürfte es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung fehlen (§ 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO aF).

Es handelt sich bei der Richtlinie, worauf die Beklagte hingewiesen hat, nicht um unmittelbar anwendbares Recht, vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV. Das Bestehen eines Anspruchs oder eines Rechtsverhältnisses hängt danach nicht von der Richtlinie, sondern allein vom nationalen Umsetzungsakt ab.

Soweit nationale Umsetzungsvorschriften richtlinienkonform auszulegen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2023 – XI ZR 98/22, WM 2023, 2241 Rn. 16), kommt es für etwaige Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von Verbrauchern auf die konkret anzuwendende Umsetzungsvorschrift an. Dies gilt umso mehr, als grundsätzlich allein die Mitgliedstaaten zu bestimmen haben, welche Folgen die Feststellung einer der Richtlinie 93/13/EWG unterfallende Rechtsmissbräuchlichkeit im einzelnen Fall hat (EuGH, Urteil vom 15. Juni 2023 – C-520/21, WM 2023, 1545 Rn. 64).

Der allgemeine Vortrag des Klägers, es handele sich bei dem Feststellungsziel zu 2 um eine wesentliche Vorfrage für die Möglichkeiten einer ergänzenden Vertragsauslegung, zu einem potentiellen Rechtsmissbrauch und für die Verjährung, die einer verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich seien (S. 33 der Klageschrift, Bl. 35 d. A.), genügt zur Darlegung, dass vom Feststellungsziel 2 Ansprüche und Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern betroffen sind, nicht. Die Aufzählung zeigt vielmehr, dass auch der Kläger der Auffassung ist, die Richtlinie sei im Rahmen der Anwendung bestimmter Vorschriften zu berücksichtigen. Dann sind aber – wie auch erfolgt – verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen konkret bezogen auf diese Normen bzw. ihre Tatbestandsmerkmale zu formulieren und die Erheblichkeit dieser Rechtsfragen in zehn Fällen dazulegen und glaubhaft zu machen.


2. Auch gegen die Zulässigkeit des Feststellungsziels zu 3 bestehen mangels Darlegung der Verbraucherrelevanz in mindestens zehn Fällen (§ 606 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO aF, § 46 EGZPO) Bedenken.

Eine unberechtigte Belastungsbuchung stellt bis zum Ende der Abrechnungsperiode bzw. dem erstellten Rechnungsabschluss nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen rein organisatorischen, einseitigen Realakt mit deklaratorischer Bedeutung dar, dem keine materiell-rechtliche Rechtswirkung zukommt (BGH, Urteile vom 8. März 2005 – XI ZR 154/04, BGHZ 162, 294, 298; vom 18. April 1989 – XI ZR 133/88, BGHZ 107, 192, 197; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 – XI ZR 471/11, NJW-RR 2013, 948 Rn. 13 mwN; Schmieder in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 26 Rn. 51; Placzek, WM 2017, 1835, 1840). Dem Bankkunden steht in diesem Falle grundsätzlich lediglich ein Anspruch auf Korrektur des Kontoverlaufs durch Rückgängigmachung der Belastungsbuchung aus dem Girovertrag zu (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 – IX ZR 226/91, BGHZ 121, 98, 106; vgl. auch BGH, Urteil vom 2. April 2009 – IX ZR 171/07, WM 2009, 958 Rn. 13). Dass solche Ansprüche von Verbrauchern in zehn Fällen verfolgt werden, ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden; dies ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen.

Soweit – was angesichts des Zeitablaufs lebensnah erscheint – die vereinbarten Rechnungsperioden bereits abgelaufen und Saldoanerkenntnisse von den Verbrauchern abgegeben worden sind, dürfte ein Feststellungsinteresse auch deswegen nicht gegeben sein, weil die Einzelpositionen dann in den Saldoanerkenntnissen aufgegangen wären. Die Saldoanerkenntnisse sind bereits Gegenstand des Feststellungsziels zu 4.
Lediglich vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Erweiterung in dem hilfsweise gestellten Antrag unter 3a sowie in den Anträgen unter 3b auf Entgelte für „die Überlassung und Nutzung von Bankkarten“ nicht verständlich ist. Dass solche Entgelte für „Bankkarten“ von der Beklagten erhoben worden sind, ist in zehn Fällen weder dargetan noch glaubhaft gemacht.


3. Zum Feststellungsziel zu 4 wird der Kläger darauf hingewiesen, dass der Senat vorläufig den Vortrag in der Klagebegründung dahin versteht, dass in den aufgeführten Fällen die Verbraucher Rechnungsabschlüsse erhalten haben, die Belastungen mit – aufgrund der geltend gemachten Unwirksamkeit der AGB-Klausel aus dem Feststellungsziel zu 1 – ungerechtfertigten Gebühren bzw. Entgelten enthalten, und denen die Verbraucher nicht widersprochen haben. Der Kläger hat hier missverständlich auf die Zusendung von „Kontoauszügen“ abgestellt; dies ist klarzustellen.

Das Feststellungsziel zu 4 verweist zudem auf den nach vorläufiger Würdigung unzulässigen Antrag zu 3 und müsste dahin angepasst werden, als auf das Feststellungsziel zu 1 Bezug genommen wird.


4. Das Feststellungsziel zu 5 dürfte mit der bisherigen Formulierung unzulässig sein, da individuelle Anspruchsvoraussetzungen nicht Gegenstand eines Feststellungsziels sein können (BeckOK ZPO/Lutz, Stand: Juli 2023, § 606 Rn. 16), was der Bundesgerichtshof bereits für die Verwirkung festgestellt hat, deren Voraussetzungen sich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls richten (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 115; Beschluss vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 9; jeweils mwN).

Die hier vorliegende Frage der konkludenten Annahme bzw. Zustimmung dürfte ebenso zu beurteilen sein, da ihre Feststellung und Würdigung dem Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände obliegt und die Revision dies nur daraufhin überprüfen kann, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denk- oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 213/20, WM 2021, 2079 Rn. 11 mwN).


5. Soweit ein Hauptantrag zum Feststellungsziel zu 6 angekündigt wird, geht eine Bezugnahme auf das Feststellungsziel zu 3 fehl; auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

Der Vortrag des Klägers lässt zudem nicht erkennen, dass Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern vom Feststellungsziel zu 6. abhängen. Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist eine regelungsbedürfte Lücke oder planwidrige Unvollständigkeit (vgl. nur BGH, Urteile vom 15. April 2015 – VIII ZR 59/14, BGHZ 205, 43 Rn. 27; vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 41). Das „Fehlen eines Rechtsgrundes“ für den Erhalt eines Saldoanerkenntnisses stellt eine solche durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließende regelungsbedürftige Lücke nicht dar.

Hinsichtlich des Hilfsantrags, der auf die Unwirksamkeit der unter 1 zitierten Klausel abstellt, bestehen ebenfalls Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsziels. Die Relevanz der formulierten Frage für Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von zehn Verbrauchern ist insoweit gleichfalls nicht erkennbar. Der Kläger legt insbesondere nicht dar, dass aus der – unterstellten – Unwirksamkeit der in Ziffer 1 zitierten Klausel in mindestens zehn Fällen eine ausfüllungsbedürftige Lücke folgt. So werden die bei Vertragsschluss vereinbarten Bedingungen – die bei unwirksamer Anpassungsklausel gemäß Feststellungsziel zu 1 grundsätzlich fortgelten (vgl. § 306 Abs. 1 BGB) – weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dieser Vortrag ist aber erforderlich. Denn anders als in dem vom Bundesgerichtshofs entschiedenen Fall zu unwirksamen Zinsänderungsregelungen bei Sparverträgen (Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215) handelt es sich im vorliegenden Verfahren nicht um eine Klausel, die von Anfang an – also im ursprünglichen Vertrag – bereits vereinbart war und deren Entfall (bei einer hier unterstellten Unwirksamkeit) zwingend eine regelungsbedürftige Lücke hinterlässt (vgl. aaO, Rn. 41), sondern um eine Klausel, die eine ursprünglich gültige Vereinbarung abändern sollte („Änderungen von Entgelten für Hauptleistungen… oder Änderungen von Entgelten…“). Erst recht ist nicht in zehn Fällen dargelegt oder erkennbar, dass die Unwirksamkeit der unter dem Feststellungsziel zu 1 zitierten Klausel zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages und dessen Rückabwicklung führte (vgl. § 306 Abs. 3 BGB).

Der Hinweis auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zu unwirksamen Preisanpassungsklauseln in Energielieferungsverträgen – die vorliegend nicht streitgegenständlich sind – ersetzt den erforderlichen Vortrag nicht. Der Kläger selbst trägt vor, dass es an „der Vergleichbarkeit der Konstellationen“ fehle.

Eine abstrakte einheitliche Klärbarkeit der mit dem Feststellungsziel geltend gemachten Frage dürfte zudem fehlen. Die Frage, ob eine ergänzende Vertragsauslegung ausnahmsweise (vgl. § 306 Abs. 1 BGB) Folge der Unwirksamkeit der unter dem Feststellungsziel zu 1 zitierten Klausel ist, müsste im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der ursprünglichen Vertragsbedingungen geprüft werden. Dies gilt jedenfalls, solange nicht dargelegt ist, dass die ursprünglichen Vertragsbedingungen aller Verbraucher inhaltlich identische Regelungen aufwiesen, mithin die Verträge einer objektiv-generalisierenden Auslegung zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 44).


6. Zum Feststellungsziel zu 7 ist auf Folgendes hinzuweisen:

Der Senat versteht das Feststellungsziel zu 7 dahin, dass der Kläger die Kenntnis der Rechtslage oder deren grob fahrlässige Unkenntnis – neben den im Einzelfall nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu prüfenden Voraussetzungen – nicht zu einem zusätzlichen Tatbestandsmerkmal erheben will, da ein solches Feststellungsziel offenkundig keinen Erfolg hätte.

Der Antrag wird – bis zur Klarstellung durch den Kläger vorläufig – dahin ausgelegt, dass der Kläger sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezieht, wonach ausnahmsweise die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschiebt, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag; in diesem Fall fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, Urteil vom 15. Juni 2010 – XI ZR 309/09, WM 2010, 1399 Rn. 12; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rn. 35, 56, 59). Die Frage, wann für den Beginn der Verjährung eine hinreichende Kenntnis vorhanden ist, ist insoweit nicht ausschließlich Tatfrage, sondern wird maßgeblich durch den der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Begriff der Zumutbarkeit der Klageerhebung geprägt (BGH, Urteile vom 15. Juni 2010, aaO Rn. 13, juris; vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07, WM 2008, 2155 Rn. 17; 23. September 2008 – XI ZR 263/07, juris Rn. 16). An der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlt es bei unsicherer und zweifelhafter Rechtslage aber nur bis zur objektiven Klärung der Rechtslage. Danach ist die Klageerhebung zumutbar (BGH, Urteil vom 23. September 2008, aaO Rn. 18; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. § 199 Rn.27).

Insoweit mag das Feststellungsziel zu 7 dahin präzisiert werden festzustellen, dass die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückgewähr von Saldoanerkenntnissen, die die Beklagte gemäß Feststellungsziel zu 4 ohne rechtlichen Grund erhielt, dem Verbraucher wegen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage nicht vor dem 27. April 2021 (Urteil des BGH in XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344) zumutbar war.

Soweit der Kläger demgegenüber auf die Verjährung „eines Erstattungsanspruchs“ (Bl. 546 d. A.) abstellt, setzt ein Erstattungsanspruch aufgrund der Bindung der gegenseitigen Forderungen im Kontokorrent grundsätzlich voraus, dass der Girovertrag ohne Sollsaldo beendet worden ist bzw. zumindest im Zeitpunkt der Geltendmachung des Zahlungsanspruchs ein positiver Tagessaldo besteht, was nur im jeweiligen Einzelfall geprüft werden kann. Im Übrigen stünde einem Erstattungsanspruch zudem grundsätzlich ein etwaiges Saldoanerkenntnis des Zahlungsdienstnutzers – ist die Buchung in diesem untergegangen – entgegen; in diesem Falle verbliebe es bei dem vom Verbraucher anerkannten Saldo, soweit das Anerkenntnis nicht zurückverlangt wird.

Der Kläger mag seinen Antrag daher prüfen und ggf. beschränken.

Soweit der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) auch von der Frage der Kenntnis oder der grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners abhängig ist, handelt es sich um eine individuelle Voraussetzung des Verjährungsbeginns, die in der Person des Gläubigers vorliegen und bei mehreren Gläubigern für jeden persönlich im Einzelfall festgestellt werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 – XI ZB 26/07, BGHZ 177, 88 Rn. 25 sowie Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 112; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl., § 199 Rn. 24 mwN). Demgemäß können diese Feststellungen nicht abstrakt – im Rahmen einer Musterfeststellungsklage – geklärt werden.


7. Es bestehen ebenfalls Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsziels zu 8, da eine Verallgemeinerungsfähigkeit nicht gegeben sein dürfte (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 113 ff.). Die Treuwidrigkeit kann nur durch den Tatrichter aufgrund aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dass im Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG eine Verwehrung von Verbraucheransprüchen unter Berufung auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) ggf. lediglich in engen Grenzen zulässig sein dürfte, steht dem nicht entgegen.


8. Der Antrag zum Feststellungsziel zu 9 dürfte schon teilweise unzulässig sein, soweit der Kläger die Feststellung für einen Anspruch „auf die Erstattung von Entgelten bzw. Gebühren im Sinne des Feststellungsziels gemäß Ziffer 3.“ beansprucht; wie bereits ausgeführt hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass gegen die Beklagte in zehn Fällen ein „Anspruch auf Erstattung von Entgelten bzw. Gebühren“ aufgrund einer zwischenzeitlich erfolgten Kündigung des Girovertrages bzw. einem zumindest aktuellen positiven Tagessaldo besteht.

Der Antrag hätte daher auf den Anspruch auf Herausgabe eines Saldoanerkenntnisses gemäß dem Feststellungsziel zu 4 beschränkt werden müssen. Da die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 15. Januar 2024 nicht mehr in Abrede stellt, dass § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB nicht Einwendungen im Valutaverhältnis zur Beklagten erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2023 - XI ZR 111/22, WM 2023, 1551), dürfte nunmehr aber ein Feststellungsinteresse für dieses beschränkte Feststellungsziel entfallen sein.

Es besteht für den Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 5. Februar 2024.

Hamm, 17.01.2024
31. Zivilsenat
Dr. Hupe
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht
Dr. Telg gen. Kortmann
Richterin am Oberlandesgericht
Dr. Yuen
Richter am Oberlandesgericht

Bekanntmachung vom 04.09.2023, Oberlandesgericht Hamm, Termin

Termin aufgehoben mit Bekanntmachung vom 16.02.2024 Zwischenentscheidung zu diesem Termin

Bezeichnung des Termins: Verhandlungstermin

Datum: 26. Februar 2024

Uhrzeit: 10:00 Uhr

Sitzungsort: Oberlandesgericht Hamm

Raum: B-302, 3. Etage

Straße, Hausnummer: Heßlerstraße 53

PLZ, Ort: 59065 Hamm

Die Beklagte wird auf Folgendes hingewiesen: Von der Veröffentlichung der Feststellungsziele der Widerklage nach § 607 Abs. 2 ZPO ist abgesehen worden, weil die Widerklage nicht die nach § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 610 Abs. 5 Satz 1, § 33 Abs. 1 ZPO vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt. Die Beklagte ist keine qualifizierte Einrichtung zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen im Sinne von § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO, weswegen es an ihrer Klagebefugnis (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 22 f.) fehlt. Die Widerklage ist danach als unzulässig abzuweisen.

Zwar wird teilweise vertreten, dass eine negative Musterfeststellungswiderklage nach § 33 ZPO schon dann statthaft sei, wenn ein Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage bestehe. Dem stehe § 260 ZPO, wonach mehrere Ansprüche nur in derselben Prozessart geltend gemacht werden könnten, nicht entgegen, da auch die Musterfeststellungswiderklage eine Musterfeststellungsklage sei und damit nach Buch 6 der ZPO geltend gemacht werde. § 610 Abs. 5 ZPO, der auf die allgemeinen Vorschriften für das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug verweist, nehme § 33 ZPO nicht von der Verweisung aus (MüKoZPO/Menges, 6. Aufl., § 606 Rn. 3 f.). Die Möglichkeit der Widerklage folge zudem aus dem Umstand, dass Gegenstand der Feststellung auch das Nichtvorliegen von Anspruchsvoraussetzungen sein könne, was von der Klägerseite in der Regel nicht beantragt werde (Saenger/Rathmann, ZPO, 9. Aufl., § 606 Rn. 11; ähnlich auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 606 Rn. 6). Vereinzelt wird auch vertreten, Widerklagen seien als selbständige Klagen jedenfalls im enger gesteckten Rahmen von § 256 ZPO möglich, z. B. gerichtet auf das Nichtbestehen eines Anspruchs aus dem klagegegenständlichen Sachverhalt. Zur Klärung einzelner Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfragen im Sinne des § 606 Abs. 1 ZPO seien sie hingegen nicht statthaft; § 606 ZPO sei insoweit eine Spezialregelung nur für die Klägerseite. Widerbeklagter müsse aus praktischen Gründen dann die klagende Einrichtung sein, nicht aber die angemeldeten Verbraucher (Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 610 Rn. 8).

Demgegenüber vertritt eine andere Ansicht, dass eine Musterfeststellungsklage des beklagten Unternehmers weder gegen den klagenden Verband noch im Rahmen einer isolierten Drittwiderklage gegen die angemeldeten Verbraucher statthaft sei (Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., 2020, § 610 Rn. 71; Weinland, Die neue Musterfest- stellungsklage, 2019, Rn. 60). Eine gegen den klagenden Verband gerichtete Musterfest- stellungsklage scheitere daran, dass der Beklagte Unternehmer – anders als § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO voraussetze – kein qualifizierter Verband sei. Eine isolierte Drittwiderklage verbiete sich, weil schutzwürdige Belange des Drittwiderbeklagten durch seine Einbeziehung in den Rechtsstreit verletzt würden (Weinland, Die neue Musterfeststellungsklage, 2019, Rn. 59 ff.).

Der letzten Ansicht ist zu folgen.

(1) Entscheidend gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe die Musterfeststellungswiderklage privilegieren und in diesem Rahmen von den Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 ZPO entbinden wollen, spricht der Ablauf der Beratungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Bereits im Vorfeld der öffentlichen Sachverständigenanhörung vom 11. Juni 2018 haben sich mehrere Beteiligte dafür eingesetzt, auch der Beklagtenseite Feststellungsanträge zu ermöglichen. So sprach sich der Sachverständige Dr. Salger dafür aus, auch der Beklagte solle die Möglichkeit haben, neue Feststellungsziele in das Verfahren einzuführen (Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, 15. Sitzung vom 11. Juni 2018 - Protokoll-Nr. 19/15, S. 70, 72). Ebenso lautete die schriftliche Stellungnahme des Deutschen Anwaltverein vom Mai 2018 (aaO, S. 101). Auch die als Sachverständige geladene Dr. Lutz äußerte in ihrer mündlichen Anhörung, „natürlich“ müsse auch der Beklagte Gelegenheit haben, Anträge zu stellen, weil sonst am Ende nur die Hälfte festgestellt sei; es gebe negative Tatbestandsmerkmale und rechtshindernde Einwendungen; wenn nur die eine Seite feststelle, sei gar nichts entschieden; man brauche auch die andere Hälfte, die sinnvollerweise von der Beklagtenseite eingebracht werde (aaO, S. 32). In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 8. Juni 2018 u.a. brachte sie zwei Änderungsvorschläge ein: Zum einen regte sie die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Musterfeststellungsklagen in § 119 GVG und zum anderen die positive Festschreibung der Statthaftigkeit von Gegenanträgen des Beklagten in § 606a Abs. 3 Satz 1 ZPO (aaO, S. 70, 72) an, was sie auch zur Wahrung der Waffengleichheit für erforderlich hielt (aaO, S. 75).

Während der Ausschuss – und im Anschluss auch das Plenum – den Vorschlag zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts übernommen haben (BT- Drucks. 19/2741, S. 6, 24; vgl. auch § 119 Abs. 3 GVG), ist die ausdrückliche Ermöglichung eines Gegenantrags des beklagten Unternehmens nicht Gesetz geworden. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer – zumindest im Vergleich zu allgemeinen Regeln privilegierten – Widerklage nicht schaffen wollte. Dies gilt umso mehr, als dem Gesetzgeber § 15 KapMuG bei den Erörterungen bekannt war (vgl. BT-Drucks. 19/2741, S. 2), er aber dennoch davon absah, für die Musterfeststellungsklage eine entsprechende Möglichkeit zur Erweiterung der Feststellungsziele durch den Musterbeklagten unter Aufgabe der Voraussetzungen der qualifizierten Klagebefugnis nach § 606 Abs. 1 ZPO vorzusehen.

(2) Die Widerklage des beklagten Unternehmens ist auch nicht als Feststellungsklage nach § 256 ZPO zuzulassen. Dies folgt schon daraus, dass die Widerklage nach § 256 ZPO eine andere Prozessart als die Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO darstellt. Die Widerklage muss – aufgrund des in § 260 ZPO ausgedrückten, auch auf die Widerklage übertragbaren Rechtsgedankens – nach ganz überwiegender Ansicht in derselben Klageart erhoben werden wie die Klage (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 1993 – 19 Sa 12/93, juris Rn. 18; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 33 Rn. 19; offenlassend: BGH, Urteil vom 28. November 2001 – VIII ZR 75/00, juris Rn. 20). Es dürfen insbesondere keine Unterschiede im Instanzenzug und im anwendbaren Verfahrensrecht zwischen Klage und Widerklage auftreten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 1993 – 19 Sa 12/93, juris Rn. 18); ansonsten würde der Zweck des § 260 ZPO, dass in einem Prozess nicht Klagen miteinander verbunden werden, deren Verfahrensregeln derart gravierende Unterschiede aufweisen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nicht oder nur unter Schwierigkeiten möglich ist (BGH, Urteil vom 28. November 2001 – VIII ZR 75/00, juris Rn. 20), nicht erreicht. Die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO und die Musterfeststellungsklage nach § 606 ff. ZPO stellen aber solche unterschiedlichen Prozessarten im Sinne von § 260 ZPO dar. Für die allgemeine Feststellungsklage ist – je nach Streitwert – das Amtsgericht oder das Landgericht sachlich zuständig (§§ 23, 71 GVG), nicht jedoch das Oberlandesgericht. § 33 ZPO begründet eine besondere örtliche Zuständigkeit, hingegen keine besondere sachliche Zuständigkeit (vgl. Saenger/Bendtsen, ZPO, 9. Aufl., § 33 Rn. 8). Gegen Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts sind Berufung und Sprungrevision statthaft (§§ 511, 566 ZPO), während gegen Urteile in Musterfeststellungsverfahren lediglich die Revision eröffnet ist (§ 614 ZPO).

(3) Schließlich ist die Zulassung der Widerklage nicht im Rahmen einer verfassungs- konformen Auslegung geboten. Die Unstatthaftigkeit der Musterfeststellungswider- klage verletzt die beklagten Unternehmen nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3, Art. 20 Abs. 3 GG (so aber Gemoll, Bucerius Law Journal 2020, 33, 39, die den Unternehmer durch die Verwehrung der Widerklage in seiner Möglichkeit zur aktiven Gegenwehr gravierend beeinträchtigt sieht; vgl. allgemein zur prozessualen Waffengleichheit: Saenger/Bendtsen, ZPO, 9. Aufl., § 33 Rn. 1).

Zwar bindet nach allgemeiner Meinung das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz – und damit ebenso das aus ihm abgeleitete Grundrecht auf prozessuale Waffengleichheit – nicht nur den Richter, sondern auch den Gesetzgeber (vgl. BeckOK GG/Ki- schel, 55. Edition, Art. 3 Rn. 9 mwN). Das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz lässt aber Differenzierungen aus sachlichen Gründen zu. Ein solcher liegt hier vor: Der Gesetzgeber ist von einem rationalen Desinteresse des Verbrauchers bei Kleinstforderungen und dessen strukturell-wirtschaftlicher Unterlegenheit allgemein ausgegangen. Seine Absicht war, diese Störung im Gleichgewicht – auch im Interesse der Redlichkeit des Rechtsverkehrs und des Schutzes redlicher Unternehmer – durch das prozessuale Instrument der Musterfeststellungsklage auszugleichen. Diese Bewertung des Gesetzgebers ist nachvollziehbar und – im Hinblick auf seine Einschätzungsprärogative – gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zudem ging der Gesetzgeber von Vorteilen auch für die Unternehmen aus: Die Musterfeststellungsklage sei auch für die beklagten Unternehmen ökonomisch vorteilhaft, weil sie geeignet sei, zahlreiche Parallelprozesse zu vermeiden und daher das Kostenrisiko zu senken (BT-Drucks. 19/2439, S. 17), zumal die Unternehmen durch eine Abweisung der Klage gegenüber einer Vielzahl von Verbrauchern die verbindliche Feststellung erreichten, dass Ansprüche oder Anspruchsvoraussetzungen nicht bestünden (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 28). Auch nach einem stattgebenden Musterur- teil ist der Unternehmer nicht schutzlos gestellt: Rechtliche Unklarheiten, die nicht Gegenstand der Musterfeststellungsklage sind, die aber – wie etwa Einwendungen – dennoch in Zusammenhang stehen, kann der beklagte Unternehmer in den folgenden Individualstreitigkeiten klären lassen, soweit diese von den Verbrauchern angestrengt werden.

Die Beklagte mag daher überdenken, ob sie an der Widerklage festhalten will. Die mit der Widerklage geltend gemachten Feststellungsziele dürften auch von den Feststellungszielen des Klägers in der Klageerweiterung vom 6. März 2023 weitgehend erfasst werden.

Hinweise zu der Zulässigkeit der Feststellungsziele des Klägers wird der Senat – wie angekündigt – rechtzeitig vor dem Termin erteilen.